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Rezensionen

Einchecken im Hotel

Salzburg / Salzburger Festspiele Pfingsten (Juni 2025)
... mit Vivaldi und Ovid

Salzburg / Salzburger Festspiele Pfingsten (Juni 2025)
... mit Vivaldi und Ovid

Künstliches Leben als Liebesersatz. Frevel gegen die Götter mit formvollendeter Kunst. Inzestuöses Verlangen nach dem eigenen Vater. Selbstverliebtheit bis in den Abgrund. Ganz schön viel. Und über allem schweben Orpheus und Eurydice mit ihrer reinen, kompromisslosen Liebe zwischen den Welten.

„Hotel Metamorphosis“ heißt das neue Pasticcio, das sich Regisseur Barrie Kosky und Dramaturg Olaf A. Schmitt auf Basis des antiken römischen Dichters Ovid ausgedacht haben. Dass die Salzburger Pfingstfestspiele in diesem Jahr im Zeichen der Lagunenstadt Venedig stehen, dürfte den „Einsatz“ der Musik Antonio Vivaldis erklären. Unter dem Motto „Klotzen statt Kleckern“ werden ganze 45 (!) seiner Kompositionen – Arien, Ensembles, Chöre und Instrumentales – zu einem hintergründigen Klangteppich verwoben. Kann das gutgehen? Ja. Und Nein. Denn das Ergebnis fesselt und langweilt zu gleichen Teilen. Zumal es Kosky mehr um eine „elegische Meditation“ als um einen bühnenwirksamen Spannungsaufbau geht. Kann man machen, wäre da nicht die Überlänge von knapp vier Stunden, in denen dieses einfach nicht zu Ende kommen wollende Projekt viel zu lange dahinplätschert.

Gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Michael Levine siedelt Kosky das Geschehen in einem anonymen Hotelzimmer an: Doppelbett, Ledersessel, Stehlampe, Minibar – überall und nirgendwo. Eine Durchgangsstation der inneren Metamorphose, ein Raum der Einsamkeit, belebt von Gemälden, die Szenen aus den jeweiligen Mythen illustrieren. Hier müssen sich Pygmalion, Arachne, Myrrha, Echo, Narcissus, Orpheus und Eurydice ihren inneren Dämonen stellen. Krankt besonders die Pygmalion-Szene noch an Statik und Eintönigkeit, blitzt mit zunehmender Spieldauer durchaus auch Vielversprechendes auf: fein geschnitzte Seelenfenster, behutsam eingesetzte Videokunst (rocafilm) und übersinnliche Unterwelts-Kostümtupfer (Klaus Bruns) mit Schauwerten, sowie choreografische Einsprengsel, in denen Otto Pichler mit kraftvollem Tanztheater seine Lust an der Archaik auslebt.

Nicht minder energetisch präsentiert sich das Ensemble „Il Canto di Orfeo“ in seinen Chornummern (Einstudierung: Jacopo Facchini), nicht minder plastisch „Les Musiciens du Prince – Monaco“ unter ihrem Chefdirigenten Gianluca Capuano. Dieser wird dem Prädikat „Vivaldi-Experte“ mit sattem, lustvoll ausmusiziertem Klangbild in jeder Sekunde gerecht – Capuano weiß, was es heißt, Bühnenmusik zu beschwören, und kitzelt höchste Virtuosität aus seinen Solo-Instrumentalisten heraus.

Ebenfalls auf der Habenseite: ein illustres vierköpfiges Gesangs-Ensemble um Intendantin Cecilia Bartoli. Mit scharfem Timbre kehrt sie die Geltungssucht der Weberin (und späteren Spinne) Arachne nach außen, als Eurydice liefert sie zum Ende hin aber auch voller Trauer eine berührende Bravourarie erster Güte ab. Zur Seite hat sie sich gleich zwei Mezzo-Kolleginnen der nächsten Generation geholt: die extrem wandlungsfähige und dabei immer wieder herrlich aufblühende Lea Desandre und die divenhaft-furios auftrumpfende Nadezhda Karyazina. Abgerundet wird der sängerische Part von Philippe Jarousskys ätherisch lieblicher Counterkunst.

Ein seltsamer Fremdkörper im Geschehen bleibt Schauspielerin Angela Winkler als genderfluid mit Ovid- und Rilke-Zitaten durch die Szenerie geisternder Orpheus. Ihre süßlich-herbstliche Stimme und aufgesetzte Begeisterung irritiert bis zuletzt. Aber vielleicht passt das ja zu dieser nach guter alter Pasticcio-Tradition entstandenen Uraufführung mit all den großen Ambitionen, die am Ende leider doch nicht ganz zünden wollen.

Florian Maier

„Hotel Metamorphosis“ (2025) // Pasticcio mit Musik von Antonio Vivaldi, Fassung von Barrie Kosky und Olaf A. Schmitt

Infos und Termine auf der Website der Salzburger Festspiele

Die Urmutter wacht

London / Royal Opera House (Mai 2025)
Barrie Kosky und Antonio Pappano schmieden ihren „Ring“ weiter

London / Royal Opera House (Mai 2025)
Barrie Kosky und Antonio Pappano schmieden ihren „Ring“ weiter

Erda schläft nicht. Die Urmutter sieht die Weltläufte mit eigenen Augen und ist ihnen in aller Nacktheit und Schutzlosigkeit zumeist hilflos ausgeliefert. Schlimmer noch: Sie wird auf einem Drehteller allen Blicken ausgestellt, grell beleuchtet von einem unbarmherzigen Scheinwerfer von oben. Im „Rheingold“ wurde ihr unter Folter das Edelmetall abgepresst, hier wird sie gedemütigt von Wotans Gattin Fricka, der sie zwischenzeitlich als livrierte Chauffeurin dienen muss – offenbar die Rache der Chefgöttin dafür, dass sie Wotans Lieblingstochter Brünnhilde geboren hat. Und doch: Erda greift ein, ganz sachte. Hilft Siegmund, das Schwert aus der Wand zu ziehen. Tröstet ihre Tochter Brünnhilde. Ist in deren Nähe, als Wotan sie schäumend vor Wut sucht, weil sie ihren Halbbruder Siegmund im Kampf gegen Hunding gegen seinen Befehl geschützt hat.

Eines schält sich nach zwei Teilen bereits heraus als roter Faden bei Barrie Koskys neuer „Ring“-Inszenierung am Royal Opera House in Covent Garden: Diese scheinbar wehrlose Mutter Erde wird dieses und jedes andere Patriarchat überleben. So eine Setzung ist nicht neu, aber sie ist in jede Figur hinein gut durchdacht und ausgearbeitet, für viele der logischen Brüche in der „Walküre“ hat Kosky eine Antwort gefunden. Zusammen mit Bühnenbildner Rufus Didwiszus und Kostümbildnerin Victoria Behr hat er starke und bisweilen typisch plakative Bilder ersonnen. Einiges ist aus dem „Rheingold“ der letzten Spielzeit übernommen, etwa die verkohlte Weltesche und eben Erdas Präsenz. Die Personenführung ist großartig, nicht zufällig wird der halbstündige (und gerne mal sterbenslangweilig anzusehende) Abschied Wotans von Brünnhilde zur intensivsten, gelungensten Szene des Abends.

Das liegt natürlich auch an Christopher Maltman, dessen Wotan seit dem „Rheingold“ an selber Stelle noch mehr Präsenz und auch Zwischentöne gefunden hat, und an Elisabet Strid, die es schafft, ihrer Brünnhilde Leichtigkeit und Verzweiflung, rohe Kraft und große Innigkeit zu verleihen. Natalya Romaniw steigert ihre Sieglinde klug zu heller Dringlichkeit und hat in Solomon Howard einen herrlich bösartigen, stimmlich wie textlich präsenten Hunding zum Partner. Nur Stanislas de Barbeyrac ist sprachlich und musikalisch überfordert, Siegmund ist die falsche Rolle für seinen weichen, gedeckten Tenor.

Das ist sicher auch der Grund, dass Antonio Pappano am Pult im ersten Aufzug ständig sein Orchester herunter dimmt, etliche Wackler inklusive – die Steigerung im Laufe des Abends ist aber gewaltig und die Ovationen am Ende völlig berechtigt. Auch Pappano ist es (neben seinem Buddy Kosky) zu verdanken, dass diese „Walküre“ die hohen Erwartungen nach dem „Rheingold“-Vorabend vor anderthalb Jahren erfüllen kann. Ob Siegfried dann auf dem verkohlten liegenden Baumstamm mit den vielen Astlöchern als seinem Spielplatz herumturnen wird? Wir sind gespannt. Keine gewagte Prophezeiung: Erda wird sicher zusehen.

Stephan Knies

„Die Walküre“ (1870) // Erster Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner

Infos und Termine auf der Website des Royal Opera House

Ab ins kalte (?) Wasser!

Erl / Tiroler Festspiele Erl (April 2025)
Wagners „Parsifal“ im Zeichen der Musik

Erl / Tiroler Festspiele Erl (April 2025)
Wagners „Parsifal“ im Zeichen der Musik

Mit Spannung erwartet wurde der erste Bühnenauftritt von Neu-Intendant Jonas Kaufmann bei „seinen“ Tiroler Festspielen. Dass er dafür zu Ostern den „Parsifal“ in einer spirituell-abstrakten Inszenierung von Philipp M. Krenn aufs Programm setzt, passt zur neuen Erler Programmatik. Diese will sich insgesamt an den „guten“ Traditionen des Opernbetriebs orientieren, auf überbordendes Regietheater verzichten und – nichts anderes würde man von einem Sängerintendanten erwarten – die Musik in den Mittelpunkt stellen. Was überzeugend gelingt.

Nicht nur Kaufmann selbst in der Titelpartie, auch alle anderen Solistinnen und Solisten warten mit Weltklasse-Leistungen auf. Kundry Irene Roberts lässt keinen Zweifel an ihren vorhandenen Qualitäten als Verführerin und demonstriert kraftvoll-sinnlich die hervorragende Akustik des Raums. Dass sie dabei dauernd im Wasser planschen und am Ende (etwas früh!) abtauchen muss – die Regie platziert einen Pool mitten auf der Bühne – scheint sie überhaupt nicht zu stören. Ebenfalls beeindruckend gerät das Rollendebüt von Georg Nigl als Klingsor, der seiner bizarren Figur einen stimmlich-kraftvollen Stempel aufdrückt. Und gleich noch eine weitere Leistung sticht hervor: Michael Nagy ist als leidender Amfortas (in Krenns Inszenierung im Rollstuhl) eine akustisch wie optische Erscheinung mit extremer gestalterischer Variabilität, wodurch selbst etwas langatmige Passagen in der Partitur nie an Spannung verlieren. Auch Brindley Sherratt hält den hohen Erwartungen stand und fügt sich als stimmgewaltiger, „tönender“ Gurnemanz perfekt ins Ensemble ein. Clive Bayley schließlich komplettiert die Solistenriege als König Titurel mit seiner kraftvollen Bass-Stimme.

Einzig Asher Fisch am Pult des Orchesters der Tiroler Festspiele hätte man vor allem im ausladenden ersten Akt etwas mehr „Feuer“ und deutlichere Akzentuierungen gewünscht – nicht nur, weil die riesige Besetzung mit sieben (!) Kontrabässen den fulminanten Wagner-Klang wirklich feiert. Szenisch und akustisch zuverlässig „auf und hinter der Bühne“ agiert der festivaleigene Chor, einstudiert von Olga Yanum.

Erfreulicherweise drängt sich das Regiekonzept dieser musikalisch so starken Produktion nicht in den Vordergrund. Krenn verzichtet auf eine allzu eigenmächtige Interpretation und erzählt die Geschichte geschickt, ästhetisch anmutig und „logisch zur Musik“. Die helle, abstrakte Bühne von Heike Vollmer ist geprägt von großen, mechanisch bewegbaren, weißen Elementen, die aussehen wie das Festspiel-Logo. Kundry erscheint zunächst in Pastellfarben-Braun, später auch im weißen Kleid, die Blumenmädchen-Szene präsentiert sich insgesamt mehr knallbunt als erotisch, aber ansprechend. Einzig Parsifal setzt im jungenhaften, dunklen Hoody-Jeans-Outfit farblich kontrastierende Akzente. Erst gegen Ende, nach aufwendig zelebrierter heiliger Waschung, darf er sich ebenfalls ein weißes Outfit anziehen (Kostüme: Regine Standfuss). Nicht zu vergessen das dominierende Bühnenelement der Inszenierung und deren optischer Mittelpunkt: der Pool – vielleicht im Laufe des Stücks etwas zu sehr strapaziert. Unbedingt und nichtsdestotrotz ein sehr gelungener Auftakt in die Erler Festspielsaison, der Lust macht auf mehr.

Iris Steiner

„Parsifal“ (1882) // Bühnenweihfestspiel von Richard Wagner

Widerstand mit Nachleuchten

Dresden / Staatsschauspiel Dresden (April 2025)
Udo Zimmermanns „Weiße Rose“ in der rohen Erstfassung

Dresden / Staatsschauspiel Dresden (April 2025)
Udo Zimmermanns „Weiße Rose“ in der rohen Erstfassung

Zu Beginn: Stille. Junge Körper auf der Bühne, mit dem Rücken zum Publikum. Dann senkt sich ein Bild – schwer, stofflich, großformatig. Es zeigt eine Szene des Krieges: Soldaten, ein Leichenberg, in der Mitte der Schmerz. Erst getaucht in gelbes Licht, dann überblendet in Weiß, schließlich durchtränkt von einem diffusen Rot. Die Szene markiert nicht nur den Anfang, sondern eine Schwelle: Diese Inszenierung der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber und der Hochschule für Bildende Künste Dresden denkt Erinnerung nicht als Rückblick, sondern als Bewegung durch den Widerstand hindurch.

Inszeniert und neu aufgelegt wird die Uraufführungsfassung von Udo Zimmermanns Oper „Weiße Rose“ aus dem Jahr 1967 – keine der späteren Überarbeitungen, keine „gereinigte“ Kammeroper, sondern die rohe, dissonante Komposition eines damals 23-Jährigen, erweitert um neu komponierte Chor-Interventionen der Komponistin und koreanischen Masterstudentin Ji-Young Yoo. Diese Chöre – zwischen Zitat, Klage und kollektiver Erinnerung – bilden das pulsierende Nervensystem der Inszenierung. Und sie machen klar: Es geht nicht um Reenactment. Es geht um Haltung.

Das Bühnenbild spielt mit Metaphern, ohne sie zu erklären: Stoffbahnen, Projektionsflächen, ein trapezförmiger Container, der sich zur Gaskammer wandelt und wieder öffnet. Die Ensemblemitglieder treten aus dem historischen Kontext heraus, vergegenwärtigen ihn über Sprache, Körper, Klang. In einem Tableau vivant mit ikonografischer Anlehnung an Darstellungen der Weißen Rose wird aus Repräsentation eine Form von Gegenwart. Besonders eindrücklich: die Szene des Transports, in der das Publikum Zeuge einer stummen, choreografierten Gewaltspirale wird – mit reduziertem Licht, langen Schatten, einem durchlöcherten Banner mit Frauenbild. Man kann die Luft schneiden.

Musikalisch ist das Werk eine Zumutung – im besten Sinne. Zimmermanns Komposition wechselt zwischen Atonalität, Sprechgesang und eruptiver Rhythmik. Das Orchester unter der Leitung von Franz Brochhagen meistert diese Herausforderung souverän. Und es sind gerade die Brüche zwischen Gesang, Text, Klangflächen, die das Stück von didaktischer Dramatik abheben. Diese Musik will nicht gefallen. Sie will stören, stoßen, aufbrechen. Die neu hinzugekommenen choralen Miniaturen, basierend auf Tagebüchern, Briefen und Fragmenten des ursprünglichen Librettos, fügen sich mit stiller Wucht in das musikalische Gewebe der Inszenierung.

Inmitten dieses Spannungsfelds glänzt die junge Besetzung. Hervorzuheben ist Bassbariton Jonathan Koch in der Doppelrolle Alexander Schmorell/Oberarzt, der mit unvorhergesehener Bühnenpräsenz auf sich aufmerksam macht. Doch es ist die Ensembleleistung, die trägt: kein Pathos, sondern ein ernsthafter Zugriff auf Erinnerung, der spürbar werden lässt, was es heißt, sich in etwas hineinzubegeben, das größer ist als man selbst. Am Ende steht nicht die Frage „Würden sie es wieder tun?“, sondern: Was würde ich tun? Und vor allem: Würde ich überhaupt merken, dass es so weit ist?

Marcus Boxler

„Die Weiße Rose“ (1967) // Oper von Udo Zimmermann, ergänzt um Neukompositionen von Ji-Young Yoo

Infos und Termine auf der Website des Staatsschauspiels Dresden

Mit Leidenschaft und Liebe

Regensburg / Theater Regensburg (April 2025)
Puccinis „Madama Butterfly“ in überraschend neuer Interpretation

Regensburg / Theater Regensburg (April 2025)
Puccinis „Madama Butterfly“ in überraschend neuer Interpretation

Die tragische Geschichte von Cio-Cio-San und Pinkerton kommt mit wenig Inhalt aus, bringt jedoch tiefste Gefühle auf die Bühne. „Madama Butterfly“ gehört zum Standardrepertoire aller großen Opernhäuser, die bekannten Arien summt jeder Opernfan begeistert mit. Doch der Stoff stellt Theater vor die Herausforderung, das antiquierte Frauen- und Asienbild zu transformieren, ohne den Gesang in den Hintergrund zu rücken.

Das Theater Regensburg lässt sich in seiner Inszenierung auf den Spagat zwischen spätromantischem Klangrausch und zeitgenössischer Interpretation ein. Butterfly trägt im ersten Akt ein gelbes Rüschenkleid, immer wieder wird die Sängerin gedoppelt durch ein gleichgekleidetes junges Mädchen. Cio-Cio-San ist eine 15-jährige Kindfrau, die Pinkerton nur zum Spaß und aus Langeweile heiratet. Sie gibt sich hin in tiefer Liebe und kindlicher Romantik, doch auch er reflektiert in der Regensburger Inszenierung. Quälend lange sitzt ein nachdenklicher Pinkerton am Bett einer fragenden, scheuen 15-Jährigen und hinterlässt ein erschrocken-berührtes Publikum in die Pause nach dem ersten Akt.

Regisseurin Juana Inés Cano Restrepo und Ausstatterin Anna Schöttl spielen mit fast überzeichneten asiatischen Bildern. Da hebt und senkt der Chor rote Lampions, eine übergroße japanische Sonne leuchtet mal ganz blass und dann wieder blutrot. Das Haus von Butterfly als halbverfallene Ruine verweist von Anfang an auf die Zerstörung eines ganzen Lebens und die kalte Kraft überkommener Traditionen. Folgerichtig ist Butterfly ab dem zweiten Akt keine Kindfrau mehr, sondern eine gereifte, erwachsene Alleinerziehende voller Sehnsucht. In Cargohose und Lederjacke seufzt sie frustriert in Richtung Meer. Rauchend wehrt sie die Geisha-Karriere ab, die nicht mehr als Prostitution ist.

Die Uraufführung 1904 an der Mailänder Scala war zunächst ein Misserfolg, der Komponist wandelte Partitur und Dramaturgie. Danach stieg die Oper auf zum Welterfolg, der bis heute anhält. In Regensburg gönnt man dem Publikum den Musikgenuss und den emotionalen Klangrausch, versucht jedoch eine vorsichtig-alternative Interpretation.

Theodora Varga beeindruckt als Butterfly mit überzeugendem Spiel und brillantem Gesang. Sie ist nicht mehr nur das zarte Opfer, die naiv Liebende. In Regensburg wird Butterfly zur Zigarette rauchenden, realistischen und auch wütenden, verlassenen Frau mit Geldnöten. Die stummen, auf der Bühne sehr präsenten Statistinnen machen den Konflikt zwischen Tradition und Aufbegehren sichtbar und direkt greifbar. Generalmusikdirektor Stefan Veselka dirigiert exakt und detailreich. Das Team des Theaters inszeniert kein Musikmärchen, sondern eine sehr reale, zeitlose Geschichte voller Liebe, Leidenschaft, Sehnsucht und Tiefe.

Claudia Erdenreich

„Madama Butterfly“ (1904) // Tragedia giapponese von Giacomo Puccini

Infos und Termine auf der Website des Theaters Regensburg

Manchmal ist weniger mehr

Schwerin / Mecklenburgisches Staatstheater (März 2025)
Henry Purcells Weltabschiedswerk „Dido and Aeneas“ als Dauerfeuerwerk

Schwerin / Mecklenburgisches Staatstheater (März 2025)
Henry Purcells Weltabschiedswerk „Dido and Aeneas“ als Dauerfeuerwerk

Als sich nach 66 Minuten die Bühne leert und lediglich drei Tänzerinnen der Ballettcompagnie über die Bretter geistern, entfaltet sich der Zauber von Henry Purcells Partitur. Stille, doch mitnichten klanglose Augenblicke einer verdichteten Wahrheit, die das Publikum die ergreifende Natürlichkeit dieser Weltabschiedsmusik erfahren lässt. Und auch Chordirektor Aki Schmitt am Dirigentenpult der Mecklenburgischen Staatskapelle scheint aufzuatmen, dass er nun nicht mehr um den Zusammenhalt von Orchester und Sängern in einem darstellerischen Dauerfeuerwerk kämpfen muss, sondern nach den feinen, leisen Zwischentönen lauschen kann. Für einen langen und doch viel zu kurzen Augenblick offenbart sich, dass die magischen Musiktheater-Momente ebenso einfach wie elementar sind – mögen die Inszenierungsideen der Gastregisseurin Reyna Bruns und des Ballettdirektors Jonathan dos Santos für Purcells Ballettoper „Dido and Aeneas“ auch durchaus stimmig sein.

Der Dreiakter selbst ist als Einstünder alles andere als abendfüllend. In Schwerin entwickelt das Regieduo deshalb ein Vorspiel auf den ersten Satz von John Adams „Shaker Loops“: Was nicht nur die Nähe von Barock und Minimal Music illustriert, sondern den Titelfiguren eine gute (Logen-)Bühne bietet, um die Vorgeschichte dieser Begegnung der karthagischen Königin und des trojanischen Fürsten zu erzählen. Passend dazu entwirft Malte Lübben schlichte, kontrastierende Schwarz-Weiß-Kostüme und eine bühnenfüllende Mauer für Schattenspiele, die mit dem eigentlichen Opernbeginn zusammenstürzt und deren Steine fortan als Requisiten die Handlung durchkreuzen.

Womit das Tohuwabohu seinen Lauf nimmt, da Librettist Nahum Tate das kurze Liebesglück des Mythos von Dido und Aeneas durch eine eifersüchtige Zauberin erschwert und die Handlung verkompliziert hat. Warum selbige indes noch zu einem Conchita-Wurst-Verschnitt mutieren muss, erschließt sich bei allem Respekt vor Sebastian Köppls ordentlichem Tenor nicht – und ist doch nur einer von zahlreichen, sinnfreien Gags. So verliert sich immer wieder die wunderbare Idee, die Alter Egos der Liebenden wie auch Didos Vertrauter Belinda (mit leuchtendem Sopran: Anna Cavaliero) durch mit ihnen auftanzende Ballettmitglieder Gestalt annehmen zu lassen. Zumal es nicht bei einem Alter Ego bleibt, sondern Ekaterina Chayka-Rubinsteins Dido und Brian Davis’ Aeneas sich von einem halben Dutzend Tänzern umringt sehen.

Chapeau, dass sich die Mezzosopranistin von diesem Auftrieb in ihrer Präsenz nicht beeindrucken lässt. Sie weiß ihre warme, dunkel gefärbte Stimme nicht allein in den Höhen sicher zu führen und das berühmte Lamento „When I am laid in earth“ mit ebenso innigem wie würdevollem Ton anzustimmen. Davis als ihr männlicher Kontrapart kann da schon ob Purcells undankbar knapper Partie nur verlieren. Der Opernchor belässt es bei Natürlichkeit, die durchaus zu ergreifen vermag. Wie auch die Staatskapelle in ihrem federnd kantablen Musizieren Überakzentuierungen und übertriebenen rhythmischen Zugriff vermeidet und über weite Strecken auf Empfindsamkeit setzt.

Christoph Forsthoff

„Dido and Aeneas“ (1688/89) // Balletoper von Henry Purcell, mit einem Prolog zu Musik von John Adams

Infos und Termine auf der Website des Mecklenburgischen Staatstheaters

Entwurzelt

Zürich / Opernhaus Zürich (März 2025)
Beat Furrers „Das große Feuer“ atmet den Klang einer sterbenden Welt

Zürich / Opernhaus Zürich (März 2025)
Beat Furrers „Das große Feuer“ atmet den Klang einer sterbenden Welt

Sein Lebensraum wird zerstört, seine Kultur belächelt und verachtet, sein eigenes Volk ist ihm fremd geworden. Sara Gallardos Roman „Eisejuaz“ (1971) ist ein hierzulande kaum bekanntes Stück Weltliteratur: die Geschichte eines Indigenen aus der nordargentinischen Region Chaco, geboren im Urwald, übersiedelt in eine christliche Mission und schamanisch verbunden mit der Natur. Er vertraut auf den Gott der Kolonisatoren, kommuniziert mit ihm aber über die „Botenengel“ seiner Vorfahren – Tiere, Hölzer, Elemente. Als der kommt, auf den Eisejuaz im Namen des Herrn zu warten glaubt, ist es ein rassistischer Weißer, Paqui. Allem Hohn zum Trotz nimmt sich Eisejuaz seiner an …

Ein vieldeutiger, zwischen bitterem Realismus und halluzinogenen Phantasmagorien changierender Stoff, den Beat Furrer für seine neunte Oper ausgesucht hat. Die Uraufführung am Opernhaus Zürich – geleitet vom Komponisten selbst – wird denn auch zum filigran gebauten Abgesang einer sterbenden Welt. Mit atmendem Holz und schneidendem Blech kündet die Philharmonia Zürich in einem gleißend-pulsierenden Klanggebilde vom Raubbau an unserem Planeten, untermalt von dissonanten Störsignalen in Tinnitus-Manier.

Murmeln ist beim von Cordula Bürgi einstudierten Vokalensemble Cantando Admont Methode. Daraus ergibt sich ein seltsam entrückter, stereophoner Chor, manchmal kaum vernehmbar, aber immer präsent – das Raunen der Vergangenheit. Sprechen ist ein zentrales Element in Furrers Partitur, genau wie der eigentümliche ständige Wechsel von deutscher Sprache und argentinischem Spanisch (Libretto: Thomas Stangl). Die zwölf Mitglieder von Cantando Admont treten für diverse Nebenrollen immer wieder aus dem Kollektiv hervor und meistern diesen Spagat mit Bravour.

Bariton Leigh Melrose legt den zwischen alter und neuer Welt zerriebenen Eisejuaz stimmlich plastisch an. Szenisch stößt er bei aller investierten Energie und überragenden Präsenz allerdings zwangsläufig an seine Grenzen – keineswegs selbstverschuldet, sondern weil die großen Qualitäten von Gallardos Roman sich in letzter Konsequenz nicht so recht auf die Bühne übertragen lassen wollen. „Eisejuaz“ ist der Bewusstseinsstrom eines Indigenen, die psychologische Studie eines Entwurzelten auf der Suche nach Sinn. Dieser unglaublich starke Gedankenfluss weicht in Stangls Libretto klassisch dramatischen Szenen, wodurch Geist und Zwischentöne zumindest stellenweise auf der Strecke bleiben. Genau wie die religiöse Inbrunst der Titelfigur, die Bedeutung der dem Tode entrissenen Muchacha (berührend: Sarah Aristidou) und insbesondere von Eisejuaz’ Nemesis Paqui (Andrew Moore). Letzterer wirkt in der Zürcher Lesart mit Anzug und Sonnenbrille wie ein klischeehaft auf diabolisch getrimmter (und keineswegs im Schlamm liegender) Fremdkörper. In solchen Momenten verschenken Tatjana Gürbaca und ihre Co-Regisseurin Vivien Hohnholz mehr als nur eine Chance, zumal einige der stärksten Buchpassagen entweder allzu komprimiert (die „familiäre“ Zweckgemeinschaft im Wald) oder gleich ganz außen vor gelassen werden, mutmaßlich aus Angst vor Kontroversen (Eisejuaz’ drastische Selbstoffenbarung indigener Selbstjustiz).

Nichtsdestotrotz ist „Das große Feuer“ nicht nur hörens-, sondern auch sehenswertes Musiktheater. Einmal, weil es eine relativ simple Kulisse aus schmutzigen Schieferwänden und Holz-Eisen-Stäben (Bühne: Henrik Ahr) mit Schattentänzen (Licht: Stefan Bolliger) und folkloristischen Versatzstücken (Kostüme: Silke Willrett) unglaublich atmosphärisch ausleuchtet. Vor allem aber, weil sich darin dem Körper abgerungene Kunst abspielt, die den Strudel des Zerstörens in Erinnerung ruft: einer Kultur, eines Volkes, einer ganzen Lebensweise.

Florian Maier

„Das große Feuer“ (2025) // Oper von Beat Furrer

Infos und Termine auf der Website des Opernhauses Zürich

Zerfasert

Hamburg / Staatsoper Hamburg (März 2025)
Viele Doubles für Donizettis „Maria Stuarda“

Hamburg / Staatsoper Hamburg (März 2025)
Viele Doubles für Donizettis „Maria Stuarda“

Im Zentrum von Donizettis Belcanto-Oper „Maria Stuarda“ steht der Streit der beiden Königinnen Elisabeth I. und Maria Stuart um Macht und Liebe. Beide begehren den Grafen Leicester, woraus ein Sog an Eifersucht entsteht, der sich beim Aufeinandertreffen entlädt.

Karin Beier setzt in der allerersten Inszenierung dieses Werks an der Staatsoper Hamburg vor der Musik auf das Wort: Statt die Ouvertüre erklingen zu lassen, tritt ein Elisabetta-Double auf und spricht einen Prolog. Selbiges wiederholt sich mit einem Maria-Double im zweiten Akt. Gerne würde man diesem Regie-Einfall etwas abgewinnen, die Monologe bieten aber keinen inhaltlichen Mehrwert, nehmen dem Musiktheater allerdings Wirkung. Neben Maria und Elisabetta befinden sich je bis zu fünf Doubles auf der Bühne, mit denen Beier die Innenwelten der Königinnen in unterschiedlichen Facetten nach außen kehrt, die Hauptdarstellerinnen selbst aber mitunter blass wirken lässt.

Wenn Elisabetta sich von Maria verfolgt fühlt, überzeugen die Doubles – sie ist plötzlich überall. Dass die echte Maria mehr das Publikum als Elisabetta anfleht, obwohl sie neben dieser kniet, lässt viel Intensität auf der Strecke. Auch der Streit um Leicester verliert sich etwas. Insgesamt wird das Ringen der Königinnen nicht schlüssig dargestellt, wodurch der Kern der Oper zerfasert. Das Ende misslingt gänzlich: Scheinwerfer werden heruntergelassen, zwei Kameraleute kommen auf die Bühne, und während man noch rätselt, was das alles soll (eine Anspielung auf Reality-TV-Shows?), legt Maria sich auf einen Schreibtisch, und der Schlussakkord erklingt. All das wirkt so unfertig, dass nur zu hoffen bleibt, dass die der Premiere vorausgegangenen Streiks die Erklärung dafür sind.

Die trist-graue Bühne von Amber Vandenhoeck, in Gefängnis-Optik beleuchtet von Neonröhren, und die großflächigen düsteren Videoprojektionen von Severin Renke sorgen für starke Bilder. Besonders intensiv: Maria vorne mit Glatze und eine ästhetisierte Rasier-Szene als Video. Die Kostüme von Eva Dessecker setzen historisierende Akzente bei Elisabetta und Maria, der Rest ist neutral modern in Schwarz gehalten, wovon sich der glänzend rote Lack-Mantel Elisabettas abhebt und Assoziationen zu Macht und Fetisch auslöst.

Barno Ismatullaeva beeindruckt als perfekte Elisabetta mit durchschlagender und kalter Klarheit, die sie mit einer nahezu beängstigenden Leichtigkeit abliefert. Ermonela Jaho gibt die Stuarda anfänglich zart und zurückhaltend, selbst in schwindelerregenden Höhen – singt sich aber auch voluminös in Rage, wovon man sich mehr wünscht. Long Long kann mit seiner vollen, emotional timbrierten Stimme als Leicester überzeugen, ist jedoch zu weinerlich. Musikalisch fallen vor allem das beschwingte Dirigat von Antonino Fogliani auf und der heimliche Star des Abends: Chorleiter Eberhard Friedrich, der sich mit dieser Produktion in den Ruhestand verabschiedet, nicht ohne einen beeindruckenden Klangkörper zu hinterlassen – himmlisch schön das „Deh! Tu di un’umile preghiera“.

Christoph Oscar Hofbauer

„Maria Stuarda“ (1834/35) // Tragedia lirica von Gaetano Donizetti

Infos und Termine auf der Website der Staatsoper Hamburg

Lichtspiele im klinischen Raum

Berlin / Komische Oper Berlin (März 2025)
Philip Glass’ „Akhnaten“ in faszinierend artifizieller Ästhetik

Berlin / Komische Oper Berlin (März 2025)
Philip Glass’ „Akhnaten“ in faszinierend artifizieller Ästhetik

Kaum etwas ist über den Pharao verbrieft. Sein Glanz aber strahlt bis heute, mehr noch der seiner Gemahlin Nofretete. Vor 3.350 Jahren führte Echnaton den Monotheismus ein und platzierte seine Frau gleichberechtigt neben sich. Er gründete die neue Hauptstadt, dem singulären Gott Aton gewidmet. Die Nachwelt recycelte die alte Ordnung und tilgte die Erinnerung an den damals modernen Herrscher. Für Philip Glass ist Echnaton ein Meilenstein. Der amerikanische Komponist widmete ihm 1984 die dritte seiner Porträtopern nach „Einstein on the Beach“ und dem Mahatma Ghandi zugedachten Werk „Satyagraha“, die alle im Repertoire etabliert sind.

Ex-Intendant Barrie Kosky inszeniert „Echnaton“ („Akhnaten“) an der Komischen Oper Berlin ohne Firlefanz. Glass gestaltete im Team mit Shalom Goldman, Robert Israel, Richard Riddel und Jerome Robbins auch das Libretto mit ägyptischen, akkadischen, hebräischen, englischen und deutschen Vokabeln. Dabei streuten sie Geschehnisse jenseits der Evidenz ein, zum Beispiel den Sturm auf Echnatons Palast und seine Ermordung. Es gibt keine lineare Handlung, die Figuren bleiben konturlos. Kosky geht noch weiter. Er verzichtet auf Zeitbezüge oder pharaonisches Kolorit und wechselt konsequent ins Abstrakte. Klaus Grünberg schafft ihm auf der Drehbühne einen klinisch weißen Raum, der Requisiten überflüssig macht. Zahlreiche Lichteffekte illustrieren die Szenen. Optisch dominiert Schwarz-Weiß (Kostüme: Klaus Bruns), nur das Herrscherpaar trägt manchmal Farbe.

Kosky konzentriert sich präzise auf Stimmungen. Grandios gelingt ihm das in der martialischen Begräbniszeremonie für Amenophis III. Echnaton folgt ihm, krempelt die Theologie um, widmet sich Nofretete. Das Liebesduett der beiden markiert einen starken, innigen Moment, ebenso die brachiale Palast-Zerstörung samt Echnatons Tod. Der Mob stampft und fuchtelt. Manches wirkt ätherisch, dann wieder hysterisch. Der Regisseur bewegt mit choreografischem Gespür die Massen zwischen Schleichen und entfesselten Emotionen, oft scheinen es rituell konnotierte Gesten zu sein. Im Zentrum steht der Pharao, meist im Kleid als androgynes Wesen, von Countertenor John Holiday fulminant gesungen. Neben ihm bestechen vor allem Susan Zarrabi (Nofretete) und die Teje von Sarah Brady. Aus dem Off liefert der Chronist (Peter Renz) Hinweise zum Geschehen und agiert im Finale als Guide, der Touristen durch die Ruinen der zerstörten Hauptstadt Achet-Aton leitet.

Die Endlosschleifen von Glass’ Minimal Music liegen bei Jonathan Stockhammer und dem von ihm straff dirigierten Orchester der Komischen Oper in besten Händen. Die Klänge elektrisieren, betören und sorgen für fiebernde Spannung. Kosky schafft eine faszinierend artifizielle Ästhetik mit einem grandios motivierten Ensemble und nimmt mit Finesse die Popkultur-Spur auf. Dennoch dehnt sich der Abend am Ende etwas zäh auf drei Stunden, und die bedeutungsschwer verrätselten Bilderfluten verlieren ihre Intensität. Subtil gerafft, wäre dieser „Echnaton“ noch überzeugender. Das Publikum jubelt.

Jürgen Rickert

„Akhnaten“ („Echnaton“) (1984) // Oper von Philip Glass

In der Fahrradwerkstatt

Salzburg / Salzburger Landestheater (März 2025)
Flotows „Martha“ als moderne Liebesgeschichte

Salzburg / Salzburger Landestheater (März 2025)
Flotows „Martha“ als moderne Liebesgeschichte

Wie würde sich eine Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen aus unterschiedlichen Schichten – aus reichem Hause und vermeintlich der Arbeiterklasse – heute abspielen? Das zeigt Regisseurin Christiane Lutz mit Friedrich von Flotows Oper „Martha“ im Salzburger Landestheater. Die modernen Kostüme (Dorothee Joisten) wechseln dabei je nach Situation.

Trotz des märchenhaften Themas – ein Ring bringt durch die Klarheit über die Herkunft des Fahrradmechanikers die Wende – enthält die Aufführung eine erstaunliche Aktualität. Nicht nur dadurch, dass Lady Harriet Durham, alias Martha, mit Laptop und Smartphone agiert, WhatsApp-Nachrichten erhält oder Dating-Seiten konsultiert, sondern besonders durch die zeitlose Botschaft am Schluss: „Zum Heile, zum Glücke das Dasein uns ruft.“ Fantasievoll gewinnt Harriet ihren „Herrn, den Fahrradmechaniker Lyonel“, bei dem sie sich in einem Schabernack als Magd verdingt hat, zurück, als sie erfährt, dass er standesgemäß ist.

Der Untertitel der Oper „Der Markt zu Richmond“ weist auf den Ort der Handlung hin. Dieser wird in der Inszenierung zum Platz vor einem Fahrrad-Reparaturgeschäft (Bühne: Natascha Maraval). Bei Bedarf wird diese Szenerie durch die Drehbühne in Harriets Zimmer verwandelt, von dem aus ein Aufzug nach draußen führt. Dessen Bewegung nach unten wird per Videoproduktion (Tobias Witzgall) gezeigt. Sie stellt quasi die Verbindung zwischen Adel und Bürgertum, beziehungsweise eines Lebens voller Reichtum und Langeweile mit dem Trubel des Marktplatzes dar, wo viele „Mägde“ beim „Jobcenter“ Arbeit suchen.

Am Pult des Mozarteumorchesters Salzburg steht Dirigent Tobias Meichsner. Der Chor des Salzburger Landestheaters glänzt sowohl schauspielerisch als auch musikalisch („Ich kann nähen“). Einige Solopartien werden von Chormitgliedern bestritten, die umfangreichste davon übernimmt Mona Akinola als herausragende Nancy. Überwältigend sind die Darbietungen der Ensemblemitglieder, die voller Koloraturen und im Terzett oder Quartett mit stimmakrobatischer Aussprache glänzen. George Humphreys (Plumkett) und Daniele Macciantelli (Lord Tristan) als Vertreter der beiden Schichten beeindrucken ebenso wie Nicole Lubinger als Lady Harriet. Hinreißend singt sie die Arie „Letzte Rose“, die wie ein roter Faden durch die Oper führt – von der Ouvertüre und in verschiedenen Variationen bis in den vierten Akt. Tiefgreifend und ausdrucksstark sind Luke Sinclairs Tenorarien „Ach so fromm“ und „Mag der Himmel euch vergeben“ – ein Lyonel voller Emotion und Dramatik. Was zunächst wie Tragik aussieht, löst sich am Ende in Wohlgefallen und erfüllte Liebe auf.

Brigitte Janoschka

„Martha oder Der Markt zu Richmond“ (1847) // Romantisch-komische Oper von Friedrich von Flotow

Infos und Termine auf der Website des Salzburger Landestheaters