Salzburg / Salzburger Festspiele Pfingsten (Juni 2025) ... mit Vivaldi und Ovid
Künstliches Leben als Liebesersatz. Frevel gegen die Götter mit formvollendeter Kunst. Inzestuöses Verlangen nach dem eigenen Vater. Selbstverliebtheit bis in den Abgrund. Ganz schön viel. Und über allem schweben Orpheus und Eurydice mit ihrer reinen, kompromisslosen Liebe zwischen den Welten.
„Hotel Metamorphosis“ heißt das neue Pasticcio, das sich Regisseur Barrie Kosky und Dramaturg Olaf A. Schmitt auf Basis des antiken römischen Dichters Ovid ausgedacht haben. Dass die Salzburger Pfingstfestspiele in diesem Jahr im Zeichen der Lagunenstadt Venedig stehen, dürfte den „Einsatz“ der Musik Antonio Vivaldis erklären. Unter dem Motto „Klotzen statt Kleckern“ werden ganze 45 (!) seiner Kompositionen – Arien, Ensembles, Chöre und Instrumentales – zu einem hintergründigen Klangteppich verwoben. Kann das gutgehen? Ja. Und Nein. Denn das Ergebnis fesselt und langweilt zu gleichen Teilen. Zumal es Kosky mehr um eine „elegische Meditation“ als um einen bühnenwirksamen Spannungsaufbau geht. Kann man machen, wäre da nicht die Überlänge von knapp vier Stunden, in denen dieses einfach nicht zu Ende kommen wollende Projekt viel zu lange dahinplätschert.
Gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Michael Levine siedelt Kosky das Geschehen in einem anonymen Hotelzimmer an: Doppelbett, Ledersessel, Stehlampe, Minibar – überall und nirgendwo. Eine Durchgangsstation der inneren Metamorphose, ein Raum der Einsamkeit, belebt von Gemälden, die Szenen aus den jeweiligen Mythen illustrieren. Hier müssen sich Pygmalion, Arachne, Myrrha, Echo, Narcissus, Orpheus und Eurydice ihren inneren Dämonen stellen. Krankt besonders die Pygmalion-Szene noch an Statik und Eintönigkeit, blitzt mit zunehmender Spieldauer durchaus auch Vielversprechendes auf: fein geschnitzte Seelenfenster, behutsam eingesetzte Videokunst (rocafilm) und übersinnliche Unterwelts-Kostümtupfer (Klaus Bruns) mit Schauwerten, sowie choreografische Einsprengsel, in denen Otto Pichler mit kraftvollem Tanztheater seine Lust an der Archaik auslebt.
Nicht minder energetisch präsentiert sich das Ensemble „Il Canto di Orfeo“ in seinen Chornummern (Einstudierung: Jacopo Facchini), nicht minder plastisch „Les Musiciens du Prince – Monaco“ unter ihrem Chefdirigenten Gianluca Capuano. Dieser wird dem Prädikat „Vivaldi-Experte“ mit sattem, lustvoll ausmusiziertem Klangbild in jeder Sekunde gerecht – Capuano weiß, was es heißt, Bühnenmusik zu beschwören, und kitzelt höchste Virtuosität aus seinen Solo-Instrumentalisten heraus.
Ebenfalls auf der Habenseite: ein illustres vierköpfiges Gesangs-Ensemble um Intendantin Cecilia Bartoli. Mit scharfem Timbre kehrt sie die Geltungssucht der Weberin (und späteren Spinne) Arachne nach außen, als Eurydice liefert sie zum Ende hin aber auch voller Trauer eine berührende Bravourarie erster Güte ab. Zur Seite hat sie sich gleich zwei Mezzo-Kolleginnen der nächsten Generation geholt: die extrem wandlungsfähige und dabei immer wieder herrlich aufblühende Lea Desandre und die divenhaft-furios auftrumpfende Nadezhda Karyazina. Abgerundet wird der sängerische Part von Philippe Jarousskys ätherisch lieblicher Counterkunst.
Ein seltsamer Fremdkörper im Geschehen bleibt Schauspielerin Angela Winkler als genderfluid mit Ovid- und Rilke-Zitaten durch die Szenerie geisternder Orpheus. Ihre süßlich-herbstliche Stimme und aufgesetzte Begeisterung irritiert bis zuletzt. Aber vielleicht passt das ja zu dieser nach guter alter Pasticcio-Tradition entstandenen Uraufführung mit all den großen Ambitionen, die am Ende leider doch nicht ganz zünden wollen.
Florian Maier
„Hotel Metamorphosis“ (2025) // Pasticcio mit Musik von Antonio Vivaldi, Fassung von Barrie Kosky und Olaf A. Schmitt