Béla Bartóks einzige Oper „Herzog Blaubarts Burg“ hat schon immer zu extremen Deutungen eingeladen. Es ist ja auch faszinierend, dass Judith wider besseres Wissen und gegen seine eigene Warnung der Faszination des eigenbrötlerischen Serienmörders in seinem unwirtlichen Schloss erliegt. Der ganz banale andere Grund, den Einakter in seiner enigmatischen Verschlossenheit in weitere Kontexte zu stellen, ist seine Kürze: Eine Stunde macht halt meist noch keinen vollen Abend im Musiktheater.

In Oslo hat nun Regisseur Tobias Kratzer den Psychokrimi gleich doppelt eingebettet in zwei Titel, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Robert Schumanns aus heutiger Sicht in seinem Frauenbild schwer zu ertragenden Liederzyklus „Frauenliebe und –leben“ als Prolog und nach einer Pause dann Alexander von Zemlinkys „Florentinische Tragödie“. Diese nur auf den ersten Blick erstaunliche Verbindung wird durch Kratzers Ansatz und Erzählkunst höchst sinnfällig: Er hinterfragt die Rollenbilder der Mann-Frau-Beziehung auf einer Zeitlinie vom Biedermeier bis heute, in einem kühlen, protzigen Atrium-Einheitsraum (Bühne: Rainer Sellmaier), vor dessen Hintergrund die Gefühle und die emotionale und körperliche Gewalt umso stärker wirken.

Zuerst also Schumann: Ingeborg Gillebo beginnt mit rundem, fließendem Mezzosopran die acht Lieder als Salon-Soirée und wird bald auch szenisch zur ergebenen „Magd“, die alle Demütigungen erträgt. Denn „er, der Herrlichste von allen“ hat sie erwählt, was tut es da schon, wenn er sie missachtet, dafür bestraft, nur Töchter zu gebären, achselzuckend sterben lässt. Denn Er dominiert schon stumm das Geschehen, John Lundgren, der später der florentinische Kaufmann Simone werden wird und zunächst Blaubart.

Hier erkundet Kratzer lustvoll und dicht das schnelle Wechselspiel der Fragen und der Macht zwischen dem therapiebedürftigen Hausherrn und seiner neuesten Eroberung Judith, von Dorottya Lang liebend, selbstbewusst, verzweifelt und impulsiv verkörpert. Mit wohlgerundeter, üppig blühender Stimme bei perfekter Diktion ragt sie als Sängerin an diesem Abend heraus.

Ob die völlige Durchleuchtung aller Seelenabgründe die Probleme toxischer Männlichkeit und überhaupt einer Beziehung löst? Natürlich nicht. Das wird dann auch sichtbar in Zemlinskys Tragödie nach Oscar Wildes Vorlage. Der Kaufmann Simone kehrt verfrüht heim und findet seine Frau Bianca mit ihrem Liebhaber Guido (beide exzellent: Tone Kummervold und Rodrigo Porras Garulo). Der offenbar aufgeklärte, über-tolerante Hausherr trägt lange eine geschäftstüchtige Freundlichkeit vor sich her, bis er seinen Nebenbuhler am Ende doch erdrosselt. Und Bianca? Ist endlich wieder richtig fasziniert von ihm, dem Mörder. Und da schließt sich der Kreis von Kratzers sinnlich-anregender Reise durch Jahrhunderte, Geschlechterrollen und musikalische Epochen.

Im Orchestergraben nimmt der neue Chefdirigent Edward Gardner der expressiven Musik Bartóks und Zemlinkys die Extreme, trotz feiner Einzelleistungen bleibt der Klang für dieses Orchester ungewohnt gefällig und stellenweise etwas pastos-pauschal. Kratzers präzise, dabei stets gegenüber jeder Figur empathische Erzählung und das Sängerensemble aber lohnen den Weg nach Oslo allemal.

Stephan Knies

„Bluebeard’s Castle“ // Operntrilogie bestehend aus Robert Schumanns „Frauenliebe und -leben“ (1840), Béla Bartóks „A kékszakállú herceg vára“ („Herzog Blaubarts Burg“) (entstanden 1911, uraufgeführt 1918) und Alexander von Zemlinskys „Eine florentinische Tragödie“ (1917)

Infos und Termine auf der Website des Theaters