Nach der Kopenhagener Uraufführung im Jahr 1906 galt Carl Nielsens komödiantischer Dreiakter in seiner dänischen Heimat als progressiv, im Ausland hingegen als rückwärtsgewandt. Bei unserem nördlichen Nachbarn mauserte sich „Maskerade“ zur Nationaloper, außerhalb führt sie ein Nischendasein. Die jüngste Produktion der Oper Frankfurt holt sie dort heraus.

„Maskerade“ beruht auf Ludvig Holbergs Lustspiel aus dem Jahr 1724, dessen vom „dänischen Molière“ nur als pantomimisches Zwischenspiel vorgesehenes Ballgeschehen Nielsens Librettist Vilhelm Andersen zum Schlussakt mit flottem Kehraus und elegischer Demaskierung erweitert hat. Die Handlung ist eine amüsante Petitesse: Zwei reiche Kaufleute wollen ihre Kinder miteinander verheiraten. Diese aber scheinen während der Ballsaison auf Abwege zu geraten. Um das Schlimmste zu verhindern, begibt sich der erzkonservative Vater des Bräutigams ins Gewühl eines Maskenballs. Am Ende stellt sich die vom Sohn angehimmelte schöne Unbekannte als die ihm zugedachte Braut heraus.

Nielsens Musik feiert melodieselig bis zur Hitverdächtigkeit Aufklärung und Klassizität, sie sprudelt aus den Geistern Mozarts und des Tanzes, freilich in der Sicht des beginnenden 20. Jahrhunderts, weshalb die Komposition bei Gelegenheit nicht vor harmonischen und rhythmischen Kühnheiten scheut. Eigens für Frankfurt hat sich Martin G. Berger einer Nachdichtung des Librettos angenommen, die Andersens silbenakrobatische Reimfreudigkeit pointensatt und frivol ins Deutsche transferiert. Bergers Übertragung avanciert zu einem der Stars der Produktion. Rainer Sellmaier erweist ihr die Reverenz, indem er die Übertitelungsanlage mitten auf die Szene stellt. Ansonsten begnügt er sich damit, die Spielfläche mit schwarzen Wänden einzufassen, deren zahllose Türen vielfältige Optionen eröffnen.

Tobias Kratzer ölt die Komödienscharniere trefflich. Je nach Erfordernis lässt er die Situationen feinsinnig oder derb ausspielen, doch erhält die Personage insgesamt sympathisches Profil. Kinsun Chan choreografiert flott die zahlreichen Tänze, an denen mitunter auch der von Tilman Michael auf Wendigkeit und Transparenz geeichte Chor der Oper Frankfurt teilnimmt. Mit dem bestens aufgelegten Opern- und Museumsorchester serviert Titus Engel Witz und Charme der geistreichen Partitur.

Alfred Reiter nutzt den ballmuffeligen Hausvater Jeronimus zur hochamüsanten Charakterstudie. Susan Bullock ist dessen stimmlich erstaunlich quecksilbrige Gemahlin Magdelone. Bräutigam Leander wird von Michael Porter mit zureichendem Tenorschmelz versehen. Monika Buczkowska schöpft für die von ihm begehrte Leonora aus der Farbigkeit und Fülle ihrer stimmlichen Möglichkeiten. Leanders Kammerdiener Henrik beweist bei Liviu Holender auch vokal finessenreiche Figaro-Attitüde. Božidar Smiljanić bringt als Nachtwächter Meistersinger-Anmutung ins Stück und als Meister der Maskerade einen Hauch von Vergänglichkeit. Ob des dänischen Opernspaßes kichert das Premierenpublikum dezent, aber in Permanenz.

Michael Kaminski

„Maskerade“ (1906) // Komische Oper von Carl Nielsen in einer neuen deutschen Fassung von Martin G. Berger auf der Grundlage der Linearübersetzung von Hans-Erich Heller