Eigentlich war dieser „Don Carlo“ dafür gedacht, die künstlerische Verbindung von Sächsischer Staatskapelle und Semperoper mit den Salzburger Osterfestspielen in einer glanzvoll besetzten großen Verdi-Oper zu manifestieren. Die Osterfestspiele konnte bekanntlich nicht stattfinden. Für Anna Netrebko als Elisabetta blieb nur eine Miniserie von drei konzertanten Aufritten mit kammermusikalischer Begleitung während der Lockdown-Pause in Dresden. Die vorbereitete Inszenierung von Vera Nemirova wurde jetzt an der Semperoper nachgeholt – inklusive der darin enthaltenen Uraufführung. Zum ersten Mal erklang vor der vieraktigen italienischen Fassung von Verdis Schiller-Oper ein zehnminütiges Vorspiel, mit dem Manfred Trojahn (*1949) den Fontainebleau-Akt der fünfaktigen Fassung dieser Oper aufgreift und imaginiert.

Auf der Bühne fassen eingeblendete Videos und ein Tänzerpaar das Kennenlernen der beiden Königskinder, die zueinander nicht kommen sollten, gleichsam zusammen. Das funktioniert szenisch und vor allem musikalisch hervorragend. Ebenso wie das eingefügte Cello-Intermezzo Trojahns („Mendelssohns Möwen“, 2012), das die Nachwirkung des Autodafés verstärkt. Diese heikle Szene übersetzt Nemirova von der Menschen- in eine Bücherverbrennung. Sie macht daraus ein Event für eine bessere Gesellschaft in einem autoritären Regime von heute. Ergänzt durch das Saallicht wird es (über-)deutlich zu einer Warnung für uns. Als Raum für die ansonsten geradlinige Nacherzählung der Geschichte hat Heike Scheele eine gewaltige Klosterbibliothek auf die Bühne gebaut. Die bietet Platz für diverse Umbauten, aber auch für die Tableaus. So raumgreifend (und mit Büchern welchen Inhaltes auch immer hantierend) inszeniert, sieht man beispielsweise die zentrale Szene zwischen dem König und Posa selten. Gleichwohl funktionieren die Bücher auch hier als immer wieder bemühtes optisches Leitmotiv nur bedingt.

Musikalisch bleiben bei dieser in Dresden leider nur drei Mal zu erlebenden Produktion freilich keine Wünsche offen. Die Sächsische Staatskapelle unter der Leitung von Ivan Repušić ist in Hochform. Der von André Kellinghaus einstudierte Chor ebenso. Andrei Bondarenko ist als Posa mit seinem kraftvoll leidenschaftlich auftrumpfenden Bariton geradezu sensationell, ebenso Riccardo Massi als strahlkräftiger Don Carlo. Ihre Duette sind Höhepunkte des Abends. Dazu kommt Vitalij Kowaljow als robuster Filippo II. Mit ihrem schlanken Sopran ist Dinara Alieva eine glaubwürdige Elisabetta und Anna Smirnova eine prägnante Eboli. Auch der Rest des Ensembles überzeugt.

Roberto Becker

„Don Carlo“ // Oper von Giuseppe Verdi in der vieraktigen Fassung von 1884, ergänzt um einen Prolog für Orchester (2021) und ein Zwischenspiel für Violoncello solo (2012) von Manfred Trojahn