Der amerikanische Soziologe Stanley Milgram behauptete, kein Mensch auf dem Erdenrund sei von jedem beliebigen anderen weiter als sechs Bekannte entfernt. Die acht Erben, die Monty Navarro, den Helden der 2012 uraufgeführten, an den Broadway übernommenen und alsbald mit vier Tony Awards ausgezeichneten musikalischen Komödie, von Titel und Reichtum eines Lord D’Ysquith trennen, bezeichnen insofern eine überdurchschnittliche Distanz. Um dennoch ans Ziel zu gelangen, helfen allein drastische Mittel. Wie der entfernte Verwandte sich durch allerhand Tötungsdelikte aus prekären Verhältnissen in den Hochadel empormordet, ist Thema des zu Beginn des vorletzten Jahrhunderts angesiedelten schwarzhumorigen – im amerikanischen Original unter „A Gentleman’s Guide to Love and Murder“ firmierenden – Musicals.

Librettist Robert L. Freedman greift dazu auf den Roman „Israel Rank“ von Roy Horniman zurück, dessen Verfilmung mit Alec Guinness in der Hauptrolle 1949 in die Kinos kam. Der Serienmord als Lustspielstoff funktioniert, weil keiner der Hingerafften Sympathien weckt und sie alle Popanze bleiben. Das Beste am doppelmoralischen Geistlichen, der vermeintlichen Philanthropin, tatsächlich aber üblen Rassistin, der talentfreien, doch adligen Schauspielerin, dem imperialistischen Lord selbst und all der anderen D’Ysquiths ist deren Abgang.

Steven Lutvak schreibt für die Entsorgung der noblen Herrschaften eine Musik mit der nostalgischen Talmi-Anmutung der Vaudevilles und Music Halls. Augenzwinkernd serviert Lutvak unterkomplexe Walzer und Ensemblesätze wie aus dem Baukasten.

Am Detmolder Landestheater entsteht daraus versiert gemachte und kurzweilige Unterhaltung voll schriller Situationen. Regisseur Götz Hellriegel gibt dem Affen reichlich Zucker und scheut nicht vor Pointenkrachern. Das Detmolder Haus, als Hoftheater errichtet, wird höchst amüsant zur hinsichtlich der künstlerischen Mittel nicht eben wählerischen Vorstadt-Bühne umfunktioniert, auf der Jan Freese mittels Drehscheibe für rasche Schauplatzwechsel sorgt. Valerie Hirschmann steckt den Hochadel in schreiend-spleenige Garderobe.

Mathias Mönius begleitet das Bühnengeschehen mit dem animiert aufspielenden Symphonischen Orchester des Landestheaters. Randy Diamond übernimmt, ob als Frau oder Mann, die Parts sämtlicher zu beseitigender D’Ysquiths und macht aus ihnen die Knallchargen, die sie sind. Tobias Bieri ist der sympathische Serienmörder und soziale Aufsteiger Monty Navarro. Charmant gibt Veronika Hörmann dessen zwischen dem zunächst armen Schlucker und dem Wunsch nach auskömmlichem Lebensstandard schwankende Freundin Sibella. Annina Olivia Battaglia verleiht der hochadeligen und dem jungen Navarro vielleicht noch inniger zugetanen Phoebe ebenso zauberhafte wie schönstimmige Kontur. In Gestalt von Miss Shingle kommt – ohne dessen Wissen – die verschmitzt agierende Brigitte Bauma dem jungen Erben beim entscheidenden letzten Mord zuvor.

Michael Kaminski

„A Gentleman’s Guide to Love and Murder“ („Liebe, Mord und Adelspflichten“) (2012) // Musical von Robert L. Freedman (Buch) und Steven Lutvak (Musik)

Infos und Termine auf der Website des Theaters