Wie zwei steinerne Gäste knüppeln von hohen Sockeln herab Siegfried und Gunther Brünnhilde mit Worten nieder – statuengleich und austauschbar. Die anschließende Vergewaltigung verwundert niemanden. Stefan Herheim lässt ungeheure Brutalität zu einem Markenzeichen dieser Produktion werden. Ein weiteres ist Boshaftigkeit. Auf ihre Demütigung sinnend, steigt Hagen zu den Göttern empor, reißt Wotan den zerbrochenen Speer aus der Hand. Heißt – beider Eid von vornherein brüskierend – Siegfried und Brünnhilde auf dessen Spitze schwören. Drittes Hauptmerkmal ist die meist hinlänglich konsequent durchgehaltene Ununterscheidbarkeit von Parodie und Ernst. So, wenn Siegfried wie aus einem Wurmloch im raumzeitlichen Kontinuum durch den allgegenwärtigen Ding-Symbol-Konzertflügel vom Walkürenfelsen mitten in der als Kopie des Hauptfoyers der Deutschen Oper auf die Bühne gestellten Gibichungenhalle anlangt. Herheims Sicht auf deren Hausherrn Gunther ist freilich disparat. Die anfängliche Schießbudenfigur kommt nicht mit der Trauer überein, die den Gibichungen erfasst, als der Blutsbruder ihm tot in die Arme sinkt. Bewegend hingegen Brünnhildes Wandlung zur das Spiel von Göttern und Menschen durchschauenden, die Notwendigkeit des Weltuntergangs begreifenden und herbeiführenden einzig wahren Heldin inmitten einer auch durch Siegfried korrumpierten Welt.

Der Regisseur reduziert als sein eigener Bühnenbildner die für ihn nach wiederholtem Bekunden zentrale Flüchtlingsthematik auf ein Koffergebirge. Illusionistisch beleuchtet, täuscht es einen Berggipfel vor, von dem aus die zu optisch attraktiven Grüppchen erstarrte Götterwelt machtlos die irdischen Geschehen beobachtet. Uta Heiseke gewandet das Pantheon wie übrigens auch Siegfried germanisch. Die Besucher der Uraufführung hätten daran ihre Freude gehabt.

Musikalisch nimmt die Produktion beinahe rundum für sich ein. Der Chor der Deutschen Oper unter Jeremy Bines haut dem Auditorium seinen Part stückgemäß um die Ohren. Donald Runnicles arbeitet mit dem Orchester des Hauses die leitmotivischen Verflechtungen prägnant heraus, was den Klangkörper nicht hindert, sich als atmender Organismus hören zu lassen.

Clay Hilley ist ein konditionsstarker und durchschlagskräftiger Siegfried. Nina Stemme phrasiert jederzeit erwogen. Stupende Sicherheit, Unangestrengtheit und Strahlkraft erheben ihre Brünnhilde zu einer Klasse für sich. Thomas Lehman steigert Gunther aus dem zunächst Buffonesken zum jede Charakterschwäche übertönenden Heldenbariton. Der als Hagen besetzte Gidon Saks lässt sich mit beginnender Indisposition ansagen. Aile Asszonyi ist eine rollendeckende Gutrune. Okka von der Dameraus Waltraute trumpft gewaltig auf. Bleibt, vom Weltenbrand zu berichten: Den Saal blendet ein rotgestirntes Firmament aus unzähligen Scheinwerfer-Sonnen. Wenn sie verlöschen, zeigt sich die leere Bühne bei Arbeitslicht. Eine Reinigungskraft wischt den Boden. Das nächste Welttheater harrt des Aufbaus.

Michael Kaminski

„Götterdämmerung“ (1876) // Oper von Richard Wagner