Kurz vor der erneuten Schließung unserer Theater konnte man an der Staatsoper Stuttgart eine aus den Zwängen unserer viralen Zeit entstandene Musiktheater-Produktion erleben – ein Zwitterwesen, geboren aus den bereits entstandenen Fragmenten der ursprünglich geplanten Produktion „Frau ohne Schatten“ und einem als Prolog hinzugefügten Textstück: Elfriede Jelineks Science-Fiction-Prosa „Die Bienenkönige“ wurde mit Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ gepaart, um einen szenischen Theater-Musik-Abend zu kreieren, dessen inhaltliche Klammer Stillstand, Einsamkeit und Tod sind. Jo Schramms noch im Rohbau befindliches Bühnenbild steht da wie ein futuristisches Gerippe und erinnert in seiner einsamen Trostlosigkeit an ein Kubrick’sches Raumschiff-Filmset. Die Protagonisten befinden sich hier aber unter Tage, denn Jelineks Stück spielt nicht in den Weiten des Alls, sondern tief in den Eingeweiden der Erde. Am Anfang steigt Schauspielerin Katja Bürkle alias „ein Energieexperte“ – vom Planeten Approxima Delta ausgesendet, um das Sterben der Erde zu erforschen – in die Tiefen jener hinab und trifft auf vier Überlebende der Wissenschaftlerkolonie Terrana 2. Auf der Oberfläche hatte die menschliche Zivilisation ihren Lebensraum in Müll und Plastik erstickt und sich wegen des enormen Energiehungers der 35-Milliarden-Bevölkerung durch einen atomaren Supergau ins Aus geschossen. Eine grausame Elite von männlichen Wissenschaftlern – die Bienenkönige – versklavten postapokalyptisch Frauen zu Gebärmaschinen oder Konkubinen, bis das Terrorregime durch Revolution vernichtet wird. Bürkle erzählt eindringlich und ausdrucksstark von den Geschehnissen und misstraut den traurigen Überlebenden, die im Rondell der Bühne kauern: „… diesen Leuten, denen ist alles zuzutrauen“. Spricht’s und tritt ab.

An diesem Punkt erklingt Mahlers Musik – reduziert in der kammermusikalischen Fassung von Arnold Schönberg, von Rainer Riehn 1983 vollendet, mit einer Orchesterbesetzung, die gerade so im Graben des Staatstheaters Platz hat, und den vier Überlebenden des gescheiterten Gesellschaftsexperiments als Interpreten der Lieder. Ziellos und fahrig lässt Regisseur David Hermann die erstklassigen Sängerinnen und Sänger (Evelyn Herlitzius, Simone Schneider, Thomas Blondelle und Martin Gantner) agieren. Zwischen Resten von Zivilisationsmüll wurschteln die „Überlebenskünstler“ in ihren Habseligkeiten herum, legen sich schlafen, erwachen und teilen sich Mahlers Lieder gesanglich auf – wundervoll losgelöst klingende Seelenmusik, die durch Jelineks Geschichte gewissermaßen ein Gesicht bekommt. Cornelius Meister musiziert mit dem Staatsorchester Stuttgart subtil und dennoch ausdruckstark expressiv.

Zum Schluss taucht es wieder auf, das Energiewesen alienesk gekleidet, ein riesiges Etwas in Form eines Sterns schimmert im Bühnengrund. In der Hörspielfassung der „Bienenkönige“ heißt es kurz vor der Revolte: „Die Flamme der Kunst wird noch emporflammen, wenn euer Stern längst im Sinken ist.“ Richtig.

Dany Mayland

„Das Lied von der Erde“ (1911) // Gustav Mahler; Kammerfassung von Arnold Schönberg, vollendet von Rainer Riehn (1983)
„Die Bienenkönige“ (1976) // Elfriede Jelinek