Simon Stone für die Eröffnungsproduktion der Opernsaison in Rom, Arrigo Boitos „Mefistofele“, zu engagieren, ist durchaus ambitioniert. Ein inszenatorischer Selbstläufer für die mit Madrid koproduzierte Oper ist das gleichwohl nicht.

Der vor allem als Librettist Verdis bekannt gebliebene vielseitige Boito (1842-1918) hat eine der großformatigen „Faust“-Versionen für die Opernbühne hinterlassen, bei der er seine Affinität zu Wagner nicht zurückhielt. Das betrifft die massiven Chöre, die Bläser und das ganze schwergewichtige Pathos. Selbst in der heute gängigen Fassung von 1875 lässt sich erahnen, warum die mehr als doppelt so lange siebenstündige Erstfassung 1868 in Mailand durchfiel.

Auf die ganz große Operngeste setzt jetzt auch Michele Mariotti am Pult des Orchestra del Teatro dell’Opera di Roma. Dabei hat er die Klangmassen und deren Überwältigungspotenzial gut im Griff. Und ihm steht ein Ensemble zur Verfügung, das dabei nicht untergeht, sondern stets profiliert wahrnehmbar bleibt. Vor allem Bassbartion John Relyea mit seinem profunden und wohlklingenden Timbre als Mefistofele und Joshua Guerrero als prägnanter tenoraler Widerpart Faust überzeugen mit vokaler Präsenz. Aber auch Maria Agresta macht mit leuchtendem Sopran die beiden Faust-Frauen Margherita und Elena zu vokalen Glanzstücken. Sofia Koberidze ist eine adäquate mezzosatte Ergänzung als Marta und Pantalis. Musikalisch ist dieser „Mefistofele“ vor allem auf Überwältigung aus und das gelingt auch auf hohem Niveau.

Vielleicht hat ja Simon Stone für Rom andere Maßstäbe angelegt als für seine Arbeiten für die Schauspiel- und Opernbühnen in Basel, Wien, München oder Salzburg. Die szenische Abstraktion, mit der er und seine Ausstatterin Mel Page an die Collage aus Goethes „Faust“ herangehen, schafft es nicht über eine oberflächliche Bebilderung hinaus (die vor allem bei den Frauen sogar an die italienische TV-Ästhetik erinnert). In der Personenregie des von Ciro Visco präzise einstudierten Chors streckt Stone sogar gleich die Waffen und beschränkt sich aufs brave Aufmarschieren des (wolken)weiß gekleideten Personals. Mefistofele pirscht sich zunächst als Clown verkleidet an Faust heran, begibt sich wie Faust und Margherita mit Marta nicht in den Garten, sondern in ein albernes Möbelhaus-Bällebad, zelebriert in der Walpurgisnacht das Schlachten eines Schweins und imitiert auch andeutungsweise das berühmte cineastische Spiel des Großen Diktators mit der Weltkugel. In der Kerkerszene doppelt er gar hinter einer Spiegelwand die tragischen Todesfälle, die Margherita verursacht hat, in kurzen pantomimischen Szenen. Dass im vierten Akt Bewaffnete von heute in der Antike auftauchen und schließlich alles in einem himmlisch weißen Pflegeheim-Ambiente endet, passt zwar irgendwie, kann die Inszenierung als Ganzes aber auch nicht retten.

Roberto Becker

„Mefistofele“ (1868/75) // Oper von Arrigo Boito