Der Handlungsrahmen spielt im antiken Rom: Der grausam seine unterlegenen Kriegsgegner behandelt habende Feldherr Lukullus muss sich in der Unterwelt für die Untaten gegenüber seinen Opfern verteidigen, die jetzt Gericht über ihn halten: ein von Lukullus gestürzter König samt der vergewaltigten Königin, versklavte Lehrer und Handwerker, ein Fischweib, das ihren zum Kriegsdienst gedungenen Sohn verloren hat; auch die niedergebrannten Städte finden in Paul Dessaus Oper eine Stimme.

Bertold Brecht reflektierte damit die Geschehnisse im NS-Deutschland und bot dem ebenfalls exilierten Paul Dessau den „Lukullus“ als Opernsujet an. Beide erhofften sich nach dem Krieg ein gesellschaftspolitisch gerechteres Deutschland in der DDR und entwickelten das Stück für die große Bühne der Deutschen Staatsoper weiter. Doch die sowjetische Kulturpolitik verlangte Streichungen, verlagerte die zurechtgestutzte Uraufführung an einen anderen Spielort und setzte den „Lukullus“ nach nur zehn Aufführungen vom Spielplan ab.

So spiegelte Brechts und Dessaus Oper auch unfreiwillig das neu sich etablierende Unrechtssystem im Osten Deutschlands und all die Enttäuschung darüber wider. Es ist das große Verdienst der Künstlergruppe „Hauen und Stechen“, in der brillanten Stuttgarter Neuinszenierung diesen Schmerz spürbar werden zu lassen und zugleich den Bogen in die Neuzeit zu schlagen. Im raffiniert mit Licht, Video und Bauten ausgestalteten Bühnenraum und mittels der höchst phantasievoll entworfenen Kostüme entstehen durchweg eindringliche Bilder, in denen die Regisseurinnen Franziska Kronforth und Julia Lwowski empfindsam den Klagen der Unterdrückten nachspüren, Lukullus als unbelehrbaren Potentaten vorführen und sich auch vor makabren Akzenten nicht scheuen.

Musikalisch zeigt die Staatsoper Stuttgart eine hervorragende Ensembleleistung. Gerhard Siegel singt die Titelrolle mit metallischem Timbre, darstellerischer Sensibilität und perfekter Textdeklamation. Altmeisterin Cheryl Studer (Tertullia) lässt einen noch immer betörend schönem Sopran und zarte Facetten hören. Bernhard Kontarsky gönnt ihr am Pult das lyrische Auspendeln, das Dessaus vielgestaltige Musik gleichermaßen verlangt wie perkussives Zupacken, geschärfte Bläserattacken oder außergewöhnliche Schattierungen aus tiefen Streichern, Harfe, Akkordeon und Trautonium.

Überdies überzeugen Friedemann Röhlig als nobler König, Simon Bailey als kerniger Totenrichter und die noch in höchsten Koloratur-Regionen zart und warm timbrierte Königin (Alina Adamski), wie auch Maria Theresa Ullrich als altes Fischweib ergreifend vom Verlust ihres Sohnes kündet. Dem Kinderstimmen-Quintett gebührt ein hohes Sonderlob, wie überhaupt der Kinderchor und der Staatsopernchor ausgezeichnet von Manuel Pujol und Bernhard Moncado auf ihre anspruchsvollen Aufgaben vorbereitet wurden.

Dr. Jörg Riedlbauer

„Die Verurteilung des Lukullus“ (1951) // Oper von Paul Dessau (Musik) und Bertolt Brecht (Libretto)