Eigentlich könnte alles so schön sein – wenn die beschäftigungslosen Privatdetektive Morris Flynn (Markus Schneider) und Mackie McMacpherson (Merlin Fargel) nur am Londoner Verbrechensboom partizipieren könnten. Während der ersten Nummer des Musicals „Der Mann, der Sherlock Holmes war“ werden reihenweise Verbrechen aller Art vorgeführt, aber niemand begehrt Aufklärung oder Lösung eines Falles von den beiden. Die „rettende Idee“: Sie verkleiden sich als Sherlock Holmes und Dr. Watson und reisen hoffnungsvoll zur Weltausstellung nach Brüssel. Mit im Nachtzug: Jane (Karen Müller) und Mary Berry (Charlotte Katzer). Die Geschwister arbeiten in einer Näherei – Ausbeutung pur, das stilisierte große Zahnrad hinter ihnen verdeutlicht es. Doch dann die unverhoffte Nachricht: Ihr ihnen bis dahin nur nebulös bekannter Onkel, Professor Raymond Berry, hat ihnen ein Schloss und viel Geld vererbt. Das Erbe kann in Brüssel angetreten werden. Doch da gibt es auch noch die Ganoven Jacques (Nikolaj Alexander Brucker) und Jules (Alexander von Hugo), die, egal welchen Auftrag ihrer Chefin (Cornelie Isenbürger) sie auch ausführen sollen, diesen vermasseln …

Damit sind die Turbulenzen programmiert. Marc Schubring (Musik) und Wolfgang Adenberg (Buch und Liedtexte) halten sich ziemlich eng an die Vorlage des gleichnamigen Films aus dem Jahr 1937. Was leider gelegentliche Seichtigkeiten nicht verdeckt. Während die Herrenrollen großzügig und opulent ausgestattet sind und von der Regie auch dementsprechend gut bedient werden, sind die Frauenrollen im Buch eher schwach ausgeführt. Die Tanz- wie die Step-Einlagen der Geschwister Jane und Mary versöhnen mit den dürftigen Texten (Choreografie: Yara Hassan und Alexander von Hugo). Szenenbeifall gibt es immer wieder, aber nicht nur für sie. Cornelie Isenbürger als düstere Madame Ganymare überrascht mit sadistischen Neigungen in Lack und Leder. In der grotesk überzogenen Folterszene befürchtet „Sherlock Holmes“ schon sein letztes Stündlein, „Watson“ befreit ihn heldenhaft. Die beiden Duos Holmes-Watson und Jacques-Jules nutzen also ihre Vorlagen gekonnt. Sie tanzen, singen, spielen mit großer Leichtigkeit und gutem Material.

Schubrings Musik zitiert immer wieder den Swing der 1930er Jahre. Er kann auch den Hang zum Ohrwurm nicht verleugnen: Sowie „Sherlock Holmes“ „erkannt“ wird, wird er in einem aufsteigenden, schwärmerischen Dreiklang genannt. Und wenn sein Adlatus „Watson“ ängstlich ist, singt er „Das geht schief“ im gleichen Dreiklang, der dann aber ein wenig härter rüberkommt. Und mit den gleichen Worten auch bei Mary auftaucht, wenn ihr Unheil schwant.

Die musikalische Leitung ist bei William Ward Murta, bis vor Kurzem Leiter der Musicalsparte am Bielefelder Theater, in besten Händen. Der verspätete Beginn der besuchten Vorstellung hat mit dem plötzlichen Ausfall eines Orchestermitglieds und der entsprechenden Umgruppierung im Graben zu tun. Murta arrangiert, den Ausfall überdeckend, unhörbar neu. Einziges Manko: Die Bielefelder Philharmoniker sind entschieden zu laut. Es gibt Szenen, in denen die Künstler auf der Bühne fast nicht zu hören sind.

Ein großes Lob an Ausstatterin Britta Tönne. Eine Drehung der Bühne um 180 Grad und man sieht entweder Hotel- oder Eisenbahnszenerie, Industrie- bzw. Hotel- oder Ausstellungshalle. Die Belebung der Bühnenbilder durch den Opernchor setzt Regisseurin Sandra Wissmann immer wieder gekonnt und abwechslungsreich um.

Ulrich Schmidt

„Der Mann, der Sherlock Holmes war“ (2009) // Musical von Marc Schubring (Musik) und Wolfgang Adenberg (Buch und Liedtexte)

Infos und Termine auf der Website des Theaters Bielefeld