… und leise rieselt der Schnee: Mag draußen das Thermometer auch nochmal die 30-Grad-Marke knacken und die Menschen ins kühle Nass treiben, im Schweriner Theater herrscht tiefer Winter und die Darsteller suchen Zuflucht in den heimischen vier Wänden. Schließlich eröffnet der Opernklassiker „La Bohème“ die neue Spielzeit am Mecklenburgischen Staatstheater, und da braucht es nun einmal Kälte-Bilder und Tristesse – selbst wenn Noa Naamats Inszenierung ansonsten nur noch wenig mit der ursprünglichen Szenerie zu tun hat. Zugegeben, Puccinis Geschichte des lebenshungrigen Künstlerquartetts samt frierender Mimì in Mansarden-Schwermut wohnt eine gewisse Neigung zum Kitsch inne. Doch ist es da wirklich konsequent, den Vierakter in eine von Metall und Lichtrahmen dominierte Architektur zu verlegen und aus dem Artisten-Kleeblatt vier Gestalten zwischen Haltlosigkeit und brotloser Kunst zu machen?

Kein schönes Stück, schon gar kein Rührstück oder eine weitere Liebesgeschichte will die israelische Regisseurin erzählen, stattdessen ein Plädoyer für die Kunst in dieser tristen Welt des Kapitalismus halten. Nur leider fehlt es Naamat dann doch an stringentem Konzept, um zu überzeugen. Die Bühne (Thilo Ullrich) und die düsteren Garderoben samt Sonnenbrillen (Charlotte Werkmeister) erinnern eher an Momo und die grauen Herren. Aus dem Café Momus wird eine stylish-unterkühlte Bar, auf deren Tresen eine in silberne Korsage und hüfthohe Stiefel gewandete Domina-Musetta (Augen- und Ohrenweide: Morgane Heyse) tanzt und sich nehmen lässt. Und statt des Gasthofs an der Zollschranke gibt’s im Großen Haus ein zweitklassiges Bordell samt gelangweilten Pole-Dancerinnen am Eingang. Warum Musetta und ihr Graffiti-Sprayer Marcello (kraftvoller Sympathieträger: Brian Davis) ausgerechnet hier landen müssen, scheint ebenso willkürlich wie Collines (Young Kwon) Knipserei, die so gar nichts mit Fotokunst zu tun hat.

Unbeeinträchtigt davon schwebt Cornelia Zinks Mimì gleichsam über all dieser Seelenlosigkeit, geschmeidig und voll feiner Kantabilität singt sie ohne jede Tränendrüsen-Reizung. Und das, obwohl ihr Liebhaber Rodolfo nicht gerade ein Ausbruch an Gefühlen ist. Denn Konstantin Lee fehlen einfach die darstellerischen Feinheiten für diese tragische Story, mag er stimmlich auch immer wieder mal durch Glanz und Farbigkeit berühren. Ganz anders die Mecklenburgische Staatskapelle unter Levente Török, der mit seinem Dirigat einem sehr sensiblen, ja bisweilen zärtlichen Puccini nachspürt, ohne darüber den Emotionsgehalt der Musik und die großen Höhepunkte zu vergessen. Voller Leidenschaft steuert er die emphatischen, lyrisch-dramatischen Aufschwünge der Liebesszenen an, beweist für des Komponisten metrisch und rhythmisch oft frei pulsierendes Melos ebenso Gespür wie für die raffinierten Instrumentalfarben.

Ohne Kunst sei die Welt ohne Farben und Gefühle, hatte Naamat vorab ihr Konzept skizziert. Doch anders als die Musik sorgen in ihrer Regie selbst magentafarbene Baskenmütze und Sprayer-Arbeiten am Ende für keine bleibenden Inszenierungs-Eindrücke.

Christoph Forsthoff

„La Bohème“ (1896) // Oper von Giacomo Puccini

Infos und Termine auf der Website des Mecklenburgischen Staatstheaters