Ein Gefühl von Beklommenheit machte sich schon breit bei der Premiere von Mozarts „Zauberflöte“ in Dresden, am Vorabend des „Lockdown light“. Kameramänner des öffentlichen Fernsehens fragten, ob eine Premiere einen Tag vor dem Lockdown tatsächlich noch sein muss. Ja, denn es muss ja irgendwie „raus“, was die Künstler über Wochen eingeübt haben für ihr Publikum, das Kind muss geboren werden. So sah man es auch in Leipzig, als man kurzfristig die Premiere des „Lohengrin“ vorzog. Wenn schon Winterschlaf, dann wenigstens vorher noch einmal alles geben! Noch wenige Tage zuvor hatte es geheißen, dass man jetzt auf die „Schachbrettbestuhlung“, die bei den Salzburger Festspielen erfolgreich erprobt worden war, umstellen wolle, um mehr Zuschauern den Besuch der Vorstellungen zu ermöglichen. Kurzfristig musste nun in die andere Richtung umdisponiert werden, fast verloren wirkten die verbliebenen Zuschauer. Mozarts Werk musste auf eine Corona-gerechte Fassung von rund zwei Stunden eingekürzt werden. Auf den Pulten der Musiker lag eine lange Liste mit Streichungen und Kürzungen. Das erforderte viel Anpassungsfähigkeit.

Josef E. Köpplinger, Intendant am Münchner Gärtnerplatztheater, bringt mit seiner Inszenierung eine Geschichte vom Erwachsenwerden auf die Bühne. Nachdem „Die Zauberflöte“ in Dresden über Jahre fast in einer Kinder-Inszenierung dargeboten wurde, nun also ein neuer Zugang zu diesem Werk. Der jugendliche Tamino stolpert auf eine zunächst leere Bühne, gerät in die „Wildnis des Lebens“, verstrickt sich, gerät in die Gefahren einer Schlange, der drei Damen der Königin der Nacht und wehrt sich. Vieles spielt sich in seiner Fantasie ab und auf der Bühne ist immer etwas los. Köpplinger gelingt dank seiner Einfälle und einer guten Personenführung trotz Corona-Abständen ein abwechslungsreiches Spektakel, das unterhaltsam und logisch in das Bühnengeschehen eingebaut ist. Auch die Entwicklung der Pamina vom aufmüpfigen Teenager zur Tamino-Gefährtin und des Tamino vom naiven, von der Königin manipulierten Knaben zum Kandidaten der Sarastro-Nachfolge ist schlüssig nachzuvollziehen. Im Finale lässt sich das junge Paar zwar demütig in weißen Kleidern zum Initialisierungsritus auf den Boden nieder, flieht aber dann doch aus der frauenfeindlich starren Männergesellschaft. Welcher junge Mensch möchte ein Leben in so einer Gesellschaft auf Dauer ertragen?

Auf Videosequenzen kann bei Neuinszenierungen in dieser Zeit wohl nicht verzichtet werden, sie ersetzen vielfach aufwendige Hintergrundkulissen. Ob die sich ständig ändernden Bilder von Bäumen und Landschaften in verschiedenen Tages- und Jahreszeiten-Stadien nur aufgrund der gekürzten Fassung so unruhig wirkten, vermag die Rezensentin nicht zu sagen. Weniger wäre hier vielleicht doch mehr gewesen.

Die Semperoper hatte für die Premiere eine gute Mischung aus hauseigenen Kräften, heimischen Stars und Gästen ausgewählt. René Pape wirkt als sonorer und wunderbar warmer Sarastro souverän, Nikola Hillebrand – neu im Dresdner Ensemble – glänzt als technisch sicherer Koloratursopran mit glasklarer Stimme in der Partie der Königin der Nacht. Auch das Liebespaar Papageno (Sebastian Wartig) und Papagena (Katerina von Bennigsen) gefällt mit großer Spielfreude und fröhlichem Ton. Tamino und Pamina sind mit Einspringer Joseph Dennis und Tuuli Takala sehr hörenswert. Souverän auch das Damen-Trio, darunter die weltbekannte Wagner-Sängerin Christa Mayer und Roxana Incontrera, die dem Dresdner Publikum bestens als Königin der Nacht in Erinnerung ist. Ein solides Fundament der Aufführung ist der Staatsopernchor und auch die drei Solisten des Tölzer Knabenchors überzeugen mit hellem Stimmklang, wobei verwundert, warum keine Mitglieder der hiesigen drei Knabenchöre eingesetzt wurden.

Am Pult der gut aufgelegten und auf 30 Mitglieder dezimierten Staatskapelle agiert der musikalische Tausendsassa und erste Gastdirigent der Semperoper Omer Meir Wellber. Er hatte im Vorfeld angekündigt, wie bei den bereits zuvor von ihm geleiteten Da-Ponte-Opern Mozarts auch bei der „Zauberflöte“ dem Orchester und ihm ausreichend Raum für musikalische „Spielereien“ bei den Rezitativen und Zwischenspielen zu geben. Diese Ankündigung fiel den Kürzungen des Abends zum Opfer, hierauf darf sich der Zuschauer für zukünftige ungekürzte Aufführungen jedoch freuen, denn das musikalische Zusammenspiel zwischen Dirigent und Staatskapelle sowie den Sängern war trotz der vielen Kürzungen formidabel. Ein Schatten lag dennoch über diesem Abend, dies brachte das von Chorsängern beim Schlussapplaus auf die Bühne getragene Transparent „Kunst bildet Gesellschaft“ gut zum Ausdruck.

Mareile Flatt-Baier

„Die Zauberflöte“ (1791) // Wolfgang Amadeus Mozart