Aus Sofia ist in diesen trüben Tagen eine kleine Sensation zu vermelden: Hier erlebte die „Elektra“ von Richard Strauss an der Sofia Opera am 26. November ihre bulgarische Erstaufführung. Regisseur Plamen Kartaloff, auch Generaldirektor des Hauses, fährt somit weiterhin eindrucksvoll in tiefem Fahrwasser der Opernliteratur, nachdem er hier schon Richard Wagners „Ring“, „Tristan“ und „Parsifal“ inszeniert hat.

Von Beginn an reißt diese „Elektra“ den Betrachter mit. Es wird sofort offenbar, dass das Geschehen am Atriden-Palast auf einen Höhepunkt zusteuert, zu dem es in ungewöhnlich dynamischer und drastischer Art und Weise auch kommt. Bühnenbildner Sven Jonke schuf einen geometrischen, in der Höhe schräg zulaufenden schwarz-grauen Atriden-Palast mit semi-transparenten Wänden. Mit einer Drehbühne verwirklicht Kartaloff seine Sicht der „Elektra“ als eine Aneinanderreihung von Episoden im Sinne eines Kaleidoskops. In Verbindung mit der „vulkanischen Macht und theatralischen Wirkung“ der Musik werden ständig wechselnde Szenen generiert wie in einem Film. Kartaloff spricht sogar von einer „galoppierenden Entwicklung“. Das verlangt eine ausgefeilte Personenregie in den vielen Einzelszenen, die auch zu erleben ist. Für die generell bestens gestalteten Kostüme zeichnet Leo Kulash verantwortlich.

Dabei sehen wir auch eine Reihe neuer und durchaus interessanter Einfälle. Elektra beginnt das Stück am Grab ihres geliebten Vaters, der während des Monologes mit der Königskrone im Hintergrund angedeutet zu sehen ist, und bricht am Ende auch über seinem Grab tot zusammen. Ihr Kreislauf hat sich geschlossen. Zuvor hat sie in einer Assoziation an Agamemnons Mord dem aus dem Bade kommenden Ägisth ein Netz übergeworfen. Dessen Ermordung durch Orest und seinen Pfleger ist im Wegdrehen der Bühne noch ansatzweise zu sehen. Im Finale zerfallen die Wände spektakulär in ihre Einzelteile. Zumindest diese Tyrannei fand ein Ende!

In einem komplett bulgarischen Sängerensemble beeindruckt Lilia Kehayova mit einer großartigen Darstellung der Titelrolle und einem leuchtenden sowie höhensicheren Sopran bei guter Diktion. Tsvetana Bandalovska verkörpert die Chrysothemis intensiv und legt sängerisch hohe Musikalität an den Tag, gerät aber bei den Spitzentönen hörbar unter Druck. Gergana Rusekova erfüllt mit ihrem vollen und schön timbrierten Mezzo alle stimmlichen Erwartungen bei starkem Spiel. Der überaus talentierte Atanas Mladenov singt einen ruhigen Orest mit ausdrucksvollem Bariton und exzellenter Diktion. Die Choreografie von Fredy Franzutti weist den fünf Mägden und der Aufseherin während des gesamten Stücks die Rolle des erklärenden Chores des griechischen Theaters zu. In den Nebenrollen gab es Licht und Schatten. In der ersten Reprise drei Tage später wusste man bei den Protagonisten mit Diana Guglina, Radostina Nikolaeva und Jordanka Milkova mit einer guten Zweitbesetzung aufzuwarten.

Man spielte die reduzierte Orchesterfassung des Komponisten, der US-amerikanische Dirigent Evan-Alexis Christ konnte für die musikalische Einstudierung und die Leitung dieser „Elektra“ gewonnen werden. Er motivierte mit großem Engagement das Orchester der Sofia Opera zu einer außergewöhnlichen Leistung bei recht schnellen Tempi. So motiviert hat der Rezensent die Musiker hier noch nicht spielen gehört. Strauss’ und Hofmannsthals „Elektra“ feierte auf bulgarischem Boden einen packenden Einstand!

Klaus Billand

„Elektra“ (1909) // Richard Strauss