Von der trostlosen Catfish Row im Charleston von 1870 führt uns Regisseur Matthew Wild, vorzüglich getroffen, zum harten Überlebenskampf in 13 heruntergekommenen Kastencontainern, wo die lebendige Gemeinde – Flüchtlinge der Gegenwart – auf der Suche nach dem gelobten Land gestrandet ist und auch noch mit Rassenproblemen, Drogensucht und Selbstjustiz konfrontiert wird. Mit Detailarbeit in der Personenführung, farbenfrohen Kostümen (Bühnenbild: Katrin Lea Tag), erfrischender Natürlichkeit der Protagonisten und vokaler Präsenz kann die intensive Gefühlswelt der farbigen Menschen ohne Schwachpunkte auf die Bühne gebracht werden.

Wayne Marshall interpretiert Gershwins Kraft der Musik nuancenreich und mit sicherem Gespür für die Balance zwischen rhythmischer Energie, lyrischer Schönheit und zarter Romantik. Die menschlichen Gewalttaten und das Naturschauspiel des Sturms werden vom Wiener KammerOrchester, um erfahrene Jazzmusikern erweitert, eindringlich charakterisiert. Alle Protagonisten und der Chor offenbaren ihre Gefühle intensiv und eruptiv, sie drücken ihr hartes Leben und die Gefühle in emotionalen Gesang aus. Besonders stark erlebt man das Gebet für die Fischer am Meer während dem gewaltigen Unwetter, das zugleich als Metapher für den eigenen Überlebenskampf gesehen werden kann.

Clara (Jeanine de Bique) versucht mit fülligem, wunderschön geführtem Sopran ihr Baby mit „Summertime, an’ the livin’ is easy“ zu beruhigen. Ihr Mann Jake, der durchschlagskräftige Ryan Speedo Green mit warmem Bariton, stirbt als Fischer am Meer. Die ausdrucksstarke Mary Elizabeth Williams übertönt beeindruckend das Orchester und trauert als Witwe Serena mit schönen Legato-Bögen und dramatischer Stimme um ihren Mann. Auch bei dem Gebet für die kranke Bess brilliert sie mit glasklarer Höhe, um „Doktor Jesus“ um Hilfe zu bitten. Als sehr agilen, schleimigen Drogenhändler Sportin´Life verführt der ausgezeichnete Zwakele Tshabalala mit hellem Tenor, großartigen Tanzeinlagen und Kokain die verzweifelte Bess zu einem Luxus-Leben in New York. Norman Garrett könnte noch stimmkräftiger und bedrohlicher als brutaler Crown sein, aber seine kraftstrotzende Statur ist durchaus rollendeckend. Tichina Vaughn ist als gelbe Zöpfchen tragende Maria resolut und wehrt sich gegen den Rauschgifthandel im Containerdorf. Einfach phänomenal und berührend agiert das große Liebespaar Pumeza Matshikiza (Bess) und Simon Shibambu als lahmender Porgy. Die Südafrikanerin schafft es hervorragend, die Figur zwischen leichtlebigem Vamp, zerbrechlicher Süchtiger und ehrlicher Liebender anzulegen. Aus ihrer wundervollen Mittellage erstrahlt eine helle, klare Höhe. Ebenfalls aus Südafrika stammend, kann Shibambu mit Knieorthese und Krücke mit prachtvoller, kräftiger und warmer Stimme seine große Liebe für Bess zum Ausdruck bringen. Zuletzt macht er sich mit „Oh Lawd, I’m on my way“ mit Gottes Hilfe auf den Weg zur Geliebten nach New York, und das Publikum wünscht ihm nach drei herrlichen Stunden von Herzen das Beste für diesen mühsamen Weg.

Susanne Lukas

„Porgy and Bess“ (1935) // George Gershwin