Ein Dorf in Tirol. Alle sind aus dem Häuschen: Kronprinz Karl Emanuel kommt! Er ist auf Brautschau und Wirtstochter Mariandl ebenso aufgeregt wie Prinzessin Flori. Die nämlich will den Prinzen auf die Probe stellen und verkleidet sich als „Dorfkomtesse“. Jungförster Hans, der mit beiden flirtet, ist hin- und hergerissen: zwischen beiden Frauen, zwischen Untertanenpflicht und Eifersucht. Denn auch der Prinz und sein Kammerdiener interessieren sich für Mariandl. Die Liebeswirren nehmen ihren Lauf. Und am Ende? Finden sich die richtigen Paare: Hans und Mariandl, Prinz und Prinzessin!

Soweit die Handlung der „Dorfkomtesse“ von Rachel Danziger. Dass diese Operette jetzt erstmals seit 1910 wieder erklingt, hat mit „Musica non grata“ zu tun, einem Projekt der Deutschen Botschaft in Prag und der Prager Staatsoper, das sich der Wiederentdeckung vergessener jüdischer Musik widmet und alljährlich die Terezín Summer School veranstaltet. Hier wird mit internationalen Musikstudenten nicht nur innerhalb weniger Tage ein Konzertprogramm erarbeitet, sondern auch Erinnerungskultur gelebt. So gibt es Stadtführungen durch Theresienstadt, das, einst als Festung konzipiert, von den Nazis als Vorzeige-Konzentrationslager missbraucht wurde. Keiner kennt diesen noch immer gespenstischen Ort besser als Tomáš Kraus, Direktor der Theresienstädter Initiative und Sohn eines Überlebenden. Er ist einer der Initiatoren von „Musica non grata“, war doch die reiche deutsch-jüdische Kultur Prags im Kommunismus tabuisiert.

In diesem Kontext steht auch die Operette „Die Dorfkomtesse“. Sie wurde 1909 in Stockholm uraufgeführt, ein Jahr später in Berlin nachgespielt – und war der New York Times immerhin eine Meldung wert, nicht zuletzt, weil sie von einer Frau komponiert wurde. Auch heute noch ist das bemerkenswert, zumal über die Komponistin bislang nur ein Eintrag im berüchtigten „Lexikon der Juden in der Musik“ existiert. Im Vorfeld der Summer School hat deren Leiter Kai Hinrich Müller von der Kölner Musikhochschule einiges Neues über die 1870 in Amsterdam geborene Rachel van Embden herausfinden können. Nach ihrem Musikstudium in Holland und ihrer Heirat zog sie nach Berlin und hieß seitdem Danziger. Unter diesem Namen hat sie erst Lieder, dann Operetten geschrieben und für den Film komponiert. Bis vor Kurzem, bevor „Musica non grata“ zu recherchieren anfing, hatte man geglaubt, sie sei nach Theresienstadt deportiert worden, wie zwei ihrer Töchter. Inzwischen weiß man, dass Rachel Danziger, zusammen mit ihrer jüngsten Tochter, die Flucht nach England gelungen ist, wo sie allem Anschein nach 1946 starb.

Ihre Musik zur „Dorfkomtesse“ ist besonders in den Buffo-Nummern frech und spritzig, folgt ansonsten – wie das Libretto – ganz den Konventionen des Genres. Die sind den Gesangstudentinnen und -studenten heute allerdings nicht mehr vertraut, vor allem was den Umgang mit dem Text betrifft. Das lässt sich in drei Probentagen nicht nachholen – besonders bei Nichtmuttersprachlern wie hier – und sollte eigentlich an den Hochschulen stattfinden. Die etwa 40-minütige konzertante Klavierfassung kann deshalb nur eine Ahnung geben, wie das Stück im Original klingen mag. Immerhin blitzt Danzigers Humor hin und wieder auf, besonders in der besten Nummer, dem Jägerduett, in dem es um das Schießen geht. Und das in einem sehr eindeutig zweideutigen Sinn, auf den sich die junge russische Sopranistin Ekaterina Krovateva auch ohne Deutschkenntnisse bestens versteht.

Bleibt zu hoffen, das Werk einmal ganz und auf der Bühne zu erleben.

Stefan Frey

„Die Dorfkomtesse“ (1909) // Operette von Rachel Danziger van Embden in einer gekürzten Bearbeitung für Klavier von Kai Hinrich Müller