Mime hat vom Blechblasinstrumentenbauer, dessen Erzeugnisse noch im Hintergrund seiner Werkstatt prangen, zum Waffenschmied umgeschult. Nun hockt er in gestreifter KZ-Häftlingsjacke vor dem Amboss, auf dem Haupt das samtene Wagner-Barett. Kein Zweifel, Stefan Herheims Assoziationsreichtum ist oft immens. In Mimes Fall verbinden sich die nie bewiesene, aber immer virulente Deutung der Figur als Karikatur des vorgeblich jüdisch profitsüchtig-verschlagenen Wesens und die wenig stattliche Körpergröße Wagners. Doch taugt die Fülle der Einfälle nicht dazu, Schlüsselsituationen überzeugend auszuagieren. Weder in der zerfransenden Schmiedeszene, noch vor Neidhöhle, wo des Titelhelden stumme Eltern als Engel im Humperdinck-Format posieren.

Vollends scheitert Herheim, wenn das komplette Geschehen in Parodie umschlagen soll. Auf dem Walkürefelsen harren die Geflüchteten, um Zeugen der Erstbegegnung von Siegfried und Brünnhilde zu werden. Für sie wirft sich das Paar in talentfreie Opernposen. Danach heischt der Recke in dilettantischer Selbstüberschätzung bei den Umstehenden Applaus. So zerfällt denn die Handlung in meist rohrkrepierende Pointen. Selbst der immer gegenwärtige Konzertflügel bringt zwar effektvoll Mime am Amboss, später dann viel weniger eindrücklich die schlafende Brünnhilde aus dem Geist der Musik hervor, zwischendurch aber viel Kunstgewerbliches wie adrett aufgespießte Klavierauszugs-Seiten. Die oft frappanten Metamorphosen des Herheim’schen Gebirges aus Flüchtlingskoffern gelangen bei der Verwandlung in den riesigen augenrollenden Fafner an technische Grenzen.

Kostümlich macht Uta Heiseke aus Mime einen Blickfang, der die Ambivalenz der Figur zeigt; Siegfried steckt im Germanenkostüm aus dem Fundus des 19. Jahrhunderts. Angesichts der auf dem Walkürefelsen entfesselten Liebe zwischen Heros und Ex-Walküre stürzen sich die bis auf Dessous und Trikotagen entkleideten Geflüchteten in die Orgie. Die Tragödie ersteht halt aus dem Dionysischen.

Musikalisch überzeugt die Produktion. Donald Runnicles und das Orchester der Deutschen Oper kontrastieren das schwer Gelagerte und beinahe Starre der Fafner-Sphäre spannungsgeladen mit der schreitenden Grandezza in den Wanderer-Harmonien. Fein spinnen Dirigent und Klangkörper Filigranes wie das Waldweben aus.

Clay Hilley lässt sich in der Titelpartie oft höchst strahlkräftig vernehmen, spart aber bisweilen allzu merklich. Bei Iain Paterson streift der Wanderer, ohne vokal sonderlich Wogen zu schlagen, recht ausgeglichen durch die Welt. Der Mime von Ya-Chung Huang indessen geht tenoral angemessen gierig-brutal in die Vollen. Jordan Shanahan gibt Alberich machtbesessene Statur. Tobias Kehrer verleiht Fafner stimmlich monumentale Blockhaftigkeit. Nina Stemme reflektiert die Zwiespältigkeit der Empfindungen Brünnhildes, um final zu jubeln und zu leuchten. Eine Erda aus Urtiefen beglaubigt Judit Kutasi. Für den mit einem Knabensopran besetzten Waldvogel legt sich Sebastian Scherer von der Chorakademie Dortmund engagiert ins Zeug.

Michael Kaminski

„Siegfried“ (1876) // Oper von Richard Wagner