Es ist inzwischen liebgewordene Tradition geworden, sich vor Konzertbeginn in der weitläufigen, zauberhaften Gartenanlage von Schloss Grafenegg aufzuhalten, sich kulinarisch verwöhnen zu lassen und mit Klängen der letzten Probe auf den Abend eingestimmt zu werden. Im angenehmen Open-Air-Ambiente im ausverkauften Wolkenturm kann – in Koproduktion mit dem renommierten Gstaad Menuhin Festival – Beethovens einzige Oper konzertant begeistern. Jaap van Zweden, Chefdirigent der New Yorker und der Hong Kong Philharmonic, führt bereits bei der E-Dur-Ouvertüre mit unterschiedlichen Klangfarben wie Kampfgeist, Hoffnung und bedrückender Finsternis trefflich ein und leitet die Musiker sicher und einheitlich zusammen.

Da die gesprochenen Dialoge fehlen, liest Peter Simonischek als Sprecher „Roccos Erzählungen“ (Walter Jens), um die abenteuerliche Handlung als Rückblick aus der Sicht des Kerkermeisters zu gestalten. Dabei wird die Wandlung vom bestechlichen Kapitalisten zum mitfühlenden Menschen sehr gut sichtbar.

Einspringerin Sinéad Campbell-Wallace, auch bei den Salzburger Festspielen seit der „Elektra“ im Vorjahr bekannt, präsentiert eine ideale Leonore, die sich souverän für eine dramatisch-expressive Gestaltung einsetzt. Mit klarer Intonierung, kraftvollem Timbre und strahlender Höhe besticht die Sopranistin, deren Gesicht bei „O namenlose Freude!“ auch zu leuchten beginnt. Der Florestan an ihrer Seite, Jonas Kaufmann, kann – braungebrannt – optisch keinen vom Hunger ausgezehrten Gefangenen darstellen, aber sein einleitender, hoher Ton bei „Gott, welch Dunkel hier!“, der langsam-zart und schmerzvoll anschwillt, verströmt herrlich. Obwohl der Tenor mit dem unverkennbar-geschmeidigen Timbre sich am Ende der Arie stark zurücknimmt, bemerkt man starken Kraftverlust, wenn er von der Fiebervision „Leonore als Engel“ singt. Ausreichend Kraft und warme, aber auch ängstliche Klangfarbe beweist Andreas Bauer Kanabas als liebevoller Vater, Schlitzohr und schlauer Pragmatiker Rocco. Mit starker Persönlichkeit und exakter Aussprache zeigt das Frankfurter Ensemblemitglied einen beeindruckenden Totengräber und Kerkermeister. Christina Landshamer mit jugendlich-frischem, rundem Klang und ansprechender Höhe als Marzelline und Patrick Grahl mit lyrischem Tenor als ihr Kurzzeit-Bräutigam Jaquino finden sich ebenso gut ein wie der würdevolle Matthias Winckhler, der mit gehaltvollem Bariton als Minister Don Fernando für Gerechtigkeit und Freiheit sorgt. Falk Struckmann beweist Durchschlagskraft und mit dämonischen Farbtönen wirkt er gekonnt brutal. Sein Don Pizarro, eine Ausgeburt der Finsternis, kann eindringlich Angst und Furcht erzeugen.

Da auch der Tschechische Philharmonische Chor Brünn bewegend agiert, kann man von einem gelungenen Festival-Auftakt sprechen.

Susanne Lukas

„Fidelio“ (1805/14) // Oper von Ludwig van Beethoven