Zu Beginn: Stille. Junge Körper auf der Bühne, mit dem Rücken zum Publikum. Dann senkt sich ein Bild – schwer, stofflich, großformatig. Es zeigt eine Szene des Krieges: Soldaten, ein Leichenberg, in der Mitte der Schmerz. Erst getaucht in gelbes Licht, dann überblendet in Weiß, schließlich durchtränkt von einem diffusen Rot. Die Szene markiert nicht nur den Anfang, sondern eine Schwelle: Diese Inszenierung der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber und der Hochschule für Bildende Künste Dresden denkt Erinnerung nicht als Rückblick, sondern als Bewegung durch den Widerstand hindurch.

Inszeniert und neu aufgelegt wird die Uraufführungsfassung von Udo Zimmermanns Oper „Weiße Rose“ aus dem Jahr 1967 – keine der späteren Überarbeitungen, keine „gereinigte“ Kammeroper, sondern die rohe, dissonante Komposition eines damals 23-Jährigen, erweitert um neu komponierte Chor-Interventionen der Komponistin und koreanischen Masterstudentin Ji-Young Yoo. Diese Chöre – zwischen Zitat, Klage und kollektiver Erinnerung – bilden das pulsierende Nervensystem der Inszenierung. Und sie machen klar: Es geht nicht um Reenactment. Es geht um Haltung.

Das Bühnenbild spielt mit Metaphern, ohne sie zu erklären: Stoffbahnen, Projektionsflächen, ein trapezförmiger Container, der sich zur Gaskammer wandelt und wieder öffnet. Die Ensemblemitglieder treten aus dem historischen Kontext heraus, vergegenwärtigen ihn über Sprache, Körper, Klang. In einem Tableau vivant mit ikonografischer Anlehnung an Darstellungen der Weißen Rose wird aus Repräsentation eine Form von Gegenwart. Besonders eindrücklich: die Szene des Transports, in der das Publikum Zeuge einer stummen, choreografierten Gewaltspirale wird – mit reduziertem Licht, langen Schatten, einem durchlöcherten Banner mit Frauenbild. Man kann die Luft schneiden.

Musikalisch ist das Werk eine Zumutung – im besten Sinne. Zimmermanns Komposition wechselt zwischen Atonalität, Sprechgesang und eruptiver Rhythmik. Das Orchester unter der Leitung von Franz Brochhagen meistert diese Herausforderung souverän. Und es sind gerade die Brüche zwischen Gesang, Text, Klangflächen, die das Stück von didaktischer Dramatik abheben. Diese Musik will nicht gefallen. Sie will stören, stoßen, aufbrechen. Die neu hinzugekommenen choralen Miniaturen, basierend auf Tagebüchern, Briefen und Fragmenten des ursprünglichen Librettos, fügen sich mit stiller Wucht in das musikalische Gewebe der Inszenierung.

Inmitten dieses Spannungsfelds glänzt die junge Besetzung. Hervorzuheben ist Bassbariton Jonathan Koch in der Doppelrolle Alexander Schmorell/Oberarzt, der mit unvorhergesehener Bühnenpräsenz auf sich aufmerksam macht. Doch es ist die Ensembleleistung, die trägt: kein Pathos, sondern ein ernsthafter Zugriff auf Erinnerung, der spürbar werden lässt, was es heißt, sich in etwas hineinzubegeben, das größer ist als man selbst. Am Ende steht nicht die Frage „Würden sie es wieder tun?“, sondern: Was würde ich tun? Und vor allem: Würde ich überhaupt merken, dass es so weit ist?

Marcus Boxler

„Die Weiße Rose“ (1967) // Oper von Udo Zimmermann, ergänzt um Neukompositionen von Ji-Young Yoo

Infos und Termine auf der Website des Staatsschauspiels Dresden