Aušriné Stundyté hat mit ihrer Elektra schon in Salzburg Furore gemacht. Sie stemmt diese Monsterpartie jetzt auch in der Inszenierung von Dmitri Tcherniakov in Hamburg mit großem Einsatz. Ein wenig stiehlt ihr Violeta Urmana als Klytämnestra auf der Bühne allerdings die Show. Sie ist die Hausherrin in einem großbürgerlichen Salon, irgendwann um die Entstehungszeit des Opernschockers. Eine exzentrische Alte, die, noch im roten Morgenmantel und unfrisiert, zu einer Teerunde einlädt, in der kräftig über das Problemkind im Hause gelästert wird.  Jennifer Holloway als Chrysothemis ist die bieder brave Schwester. Sie ist die Frau, die ein Weiberleben haben und Kinder gebären will, wie sie Elektra entgegenhält. Die ist aber so auf ihren ermordeten Vater Agamemnon fixiert, dass sie sogar dessen Mantel ausstopft und an die große Familientafel setzt.

Der russische Regisseur und Bühnenbildner Tcherniakov macht auch diesmal, was er oft macht: den Stoff der Oper mit bürgerlichen Verhältnissen überblenden. Da freilich gehört die Blutrache nicht mehr zum allgemeinen Verhaltenskanon. Elektras heimkehrender Bruder Orest (markant: Lauri Vasar) bringt seine Mutter und ihren Liebhaber um und rächt damit den Mord an seinem Vater. Nachdem Tcherniakov die Geschichte im Grunde geradlinig erzählt hat, lässt er Orest wie einen Einbrecher aufkreuzen. Ist es schon verdächtig, dass er (entgegen der innigen Musik) auch nachdem ihn seine Schwester erkannt hat, Distanz hält, so wird er denn auch in den Übertiteln in einer Sondermeldung als gesuchter Serienmörder entlarvt, der sich in das Umfeld seiner Opfer einfühlt und dann zuschlägt. Zwar findet Elektra das Beil, das sie versteckt hatte, um die Rache zu vollziehen, nicht. Im übertragenen Sinne schlägt damit die Regie mit einem ungewöhnlichen Finale zu. So wie schon Elektra die Puppe ihres Vaters immer mal wieder am Tisch platziert hat, so macht es Orest jetzt nicht nur mit Klytämnestra, Aegisth (John Daszak) und Elektra, sondern auch noch mit Chrysothemis. Deren letztes Wort „Orest!“ ist diesmal ein Schrei des Entsetzens über ihren Mörder.

Kent Nagano geht am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg beherzt zur Sache. Er ist nicht unbedingt auf narkotisierendes Charisma aus, sondern bleibt vor allem auftrumpfend, entfesselt, bei alledem aber auch transparent. Das gefällt nicht jedem.

Roberto Becker

„Elektra“ (1909) // Tragödie von Richard Strauss

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