Mit „Tootsie“ und Verwandlungskünstler Dustin Hoffman steht seit 1982 ein Filmklassiker an der Spitze der Geschlechtertausch-Komödien. Das Musical nun bietet den Vorteil, um eine Theateraufführung zu kreisen – ermöglicht also eine ironische und auch realistisch bittere Selbstbespiegelung des Lebens und Leidens auf den Brettern, die die Welt bedeuten können und sollen. Es legt noch amüsant insistierend den ein und anderen Missstand im Kulturbetrieb bloß, gerade auch nach dem Corona-Shutdown.

Gleich nach dem Opening beginnt Bühnenzauber: Billigwohnung, banale Probebühne, Hinterhofgewirr, Künstlerkleingarderobe, Agenturbüro, Mini-Parkidylle, alles herum-, herauffahrend oder versinkend auf der fabelhaft genutzten Drehbühne. Doch dann dreht sich die imaginierte Bühne für die geplante „Romeo und Julia“-Adaption um 180 Grad und verwandelt alles in ein Broadway-Kitsch-Verona mit Kolonnaden, Fellini-Springbrunnen mit Haifisch obenauf und Lichterlauffäden als kleinen Fontänen: Ovationen für Karl Fehringers und Judith Leikaufs Bühne. In diesen Szenerien vermitteln Alfred Mayerhofers Kostüme Kleinkünstler-Schlichtheit, verschwitzte Tanzproben-Vielfalt, imitierte Bühnen-Renaissance – und dann: Fetz! Verlegung der ganzen Aufführung in die 1950er mit Fast-Petticoat und Tanz-Smoking. All dies wirbelnd in Adam Coopers Choreografie, die den Showtanz dieser Jahre mit einer zwölfköpfigen Tanztruppe imitiert.

Aus dem Graben fetzt es immer wieder: Andreas Partilla serviert David Yazbeks Musik mit Verve und geht perfekt auf das meist rasante Tempo der Inszenierung ein. Doch die fasziniert auch durch das Setzen von Mini-Pausen, wenn Chaos droht oder plötzlich die Gefühle ernst werden. Die gute deutsche Übersetzung von Roman Hinze enthält viel Charakteristisches zu Schauspielerberuf, Gagen-Elend, Glück des Spielens – und der Situationskomik echter wie vorgespielter Selbstverwirklichung. So viel Wortwitz, promptes Gelächter und Szenenapplaus ist selten. Mehrfach fühlt man sich in eine Komödie von Feydeau versetzt, Regisseur Gil Mehmert gelingt ein Saison-Höhepunkt.

Seine Solisten-Riege verdient mehr als die eine Bühnen-Rose: vom „voll schlau“-tumben Romeo-Schönling (Daniel Gutmann), der silberhaarigen, millionenschweren Produzentin mit Theaterinstinkt (Dagmar Hellberg), dem bemüht wuselnden Agenten (Erwin Windegger) und dem zunächst uninspirierten Autor (Gunnar Frietsch) bis hin zur neurotisch-hysterischen Schauspielkollegin in bejubelten Slapstick-Höhen-Abstürzen (Julia Sturzlbaum) und einer Brüll-Knall-Charge an eitlem Regisseur voller „MeToo“-Attitüden (Alexander Franzen). Dem entzieht sich die bildschöne Julie von Bettina Mönch mit Grazie, Anmut und gekonnten Show-Attitüden einer Bühnen-Julia. Klar, dass der bislang von Bühne wie Leben eher enttäuschte Michael Dorsey ihr schon beim ersten Blick verfällt. Seine Verwandlung in „Tootsie“ Dorothy Michaels, in die resolute Amme der Bühnen-Julia gelingt Armin Kahl so perfekt, weil der „Kerl“ immer wieder ein wenig durchscheint: Sein Rollen- und Mentalitätswechsel, prompt auch die Umgestaltung der Bühnenhandlung mit Titel „Julias wahre Amme“ wird glaubhaft – bis hin zum Pausengag, dem heißen Kuss zwischen beiden: „Oh shit!“

Doch über all dieser präzisen Personenzeichnung und ihren rasanten Wechseln durch die Bühnenräume kommt der Gesang nicht zu kurz. Nach dem reizvoll stillen Finale brandet die Begeisterung aus dem Zuschauerraum in Standing Ovations zurück. Das Gärtnerplatztheater hat einen neuen Hit – entsprechend der Erstaufführung: Europa kann und sollte kommen!

Dr. Wolf-Dieter Peter

„Tootsie“ (2019) // Musical von David Yazbek (Musik und Texte) und Robert Horn (Buch)

Infos und Termine auf der Website des Theaters