Giacomo Puccinis 1904 uraufgeführte Tragedia giapponese „Madama Butterfly“ wurde in Bregenz noch nie gezeigt. Intendantin Elisabeth Sobotka hat Bühnenbildner Michael Levine gebeten, eine gewaltige, quasi über dem Wasser schwebende japanische Schriftrolle mit Tuschezeichnungen (Berge und Bäume) bauen zu lassen. Sie wiegt rund 300 Tonnen und ist mit ihren 23 Metern Höhe und 33 Metern Breite monumental und doch filigran. Suggestive Beleuchtungen (Franck Evin) und animierte Videoproduktionen (Luke Halls) verleihen der ungewöhnlichen Spielfläche etwas ständig sich Wandelndes und Traumhaftes. Irritierende Bewegungen der Landschaften und geisterhaft auftauchende, plastische Gesichter sorgen für Magie. Die ungewöhnliche Bühnenskulptur, die horizontal wie vertikal bespielt wird, kann wie ein zerbrechliches Blatt japanischen Reispapiers wirken, eine Metapher des Seelenzustands der Protagonistin, aber auch wie ein archaisches Gebirgsmassiv mit mehreren übereinander angeordneten Spielflächen. Weiß verschleierte Tänzer symbolisieren den Geist des alten Japans und greifen auch in die Handlung ein.

Regisseur Andreas Homoki versteht es souverän, aber auch (gemessen an den vorherigen Produktionen mit einem riesigen Clownskopf des „Rigoletto“, den Händen der „Carmen“ oder dem Auge der „Tosca“) spektakulär unspektakulär, die Tragödie der Cio-Cio-San in Szene zu setzen. Jene aufwühlende Geschichte einer Geisha, die vom leichtfertigen amerikanischen Marinesoldaten Pinkerton zum Spaß geheiratet, sexuell ausgebeutet, geschwängert und schließlich verlassen wird. Homoki kann Massenchöre und Individualschicksale, Statisten und Sänger überzeugend führen, aber auch die szenischen Übergänge verblenden und die 1.340 Quadratmeter große Bühne geschickt theatralisch bespielen. Die anti-imperialistische, antiamerikanische Stoßrichtung gipfelt darin, dass Pinkerton Löcher in die Papierwände reißt, durch deren eines sich ein Mast mit der amerikanischen Flagge schiebt. Ein Bild des alten Japans, in das überheblicher amerikanischer Imperialismus einbricht.

Die opulenten Kostüme von Anthony McDonald verleihen der Aufführung etwas Rauschhaftes. Exzellent ist auch die Sängerbesetzung. Barno Ismatullaeva singt eine herzzerreißende Cio-Cio-San, Edgaras Montvidas einen draufgängerischen „Yankee vagabondo“ Pinkerton, Annalisa Stroppa eine anrührende Dienerin Suzuki und Brian Mulligan einen kernigen Konsul Sharpless. Auch der Rest des Ensembles lässt nichts zu wünschen übrig.

Leider erzwingen Donner, Blitz und Regen eines am Abend aufziehenden heftigen Bodensee-Gewitters nach einer Stunde den Abbruch des Spiels auf dem See. Aber die halbszenische Fortsetzung der Aufführung im Festspielhaus macht umso mehr die musikalische Qualität der Wiener Symphoniker und des Prager Philharmonischen Chores hörbar, die unter Enrique Mazzola eine eindrucksvolle Gratwanderung zwischen Opulenz und Lyrismus, subtilem Klangfarbenzauber und erschütternder emotionaler Gewalt bewältigen. Eine großartige Aufführung trotz der meteorologischen Unbilden.

Dr. Dieter David Scholz

„Madama Butterfly“ (1904) // Tragedia giapponese von Giacomo Puccini

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