Konstanz / RathausOper Konstanz (August 2023) 40-jähriges Jubiläum mit Leoncavallos „Pagliacci“
Anlassgerecht kredenzt der Wettergott einen lauen Sommer-Premierenabend. So entfaltet sich im Innenhof vor der eindrucksvollen Renaissance-Kulisse des Rathauses klangvoll und übertitelfrei des Dichter-Komponisten kühne, aus dem wirklichen Leben geschöpfte, so „schaurige Wahrheit“ – wie es der Prolog verkündet. Ein Spiel, in dem Scherz und Schmerz, Theater- und Privatbeziehungen so nahtlos verzahnt und raffiniert gespiegelt sind, in dem die leidvolle Eifersucht des Komödianten Canio alias „Pagliacci“ und die Rachsucht des abgewiesenen Tonio zwei sich liebenden Menschen das Leben kosten.
Wie aber wird sich wohl Ruggero Leoncavallos spätromantisch und opulent orchestrierte „Verismo“-Oper ohne ihren bewährten Doppel-Partner („Cavalleria rusticana“) schlagen? Spiel, Satz und Sieg auch im Einzel? Und wie überzeugend wird – um in der (Tennis)-Bildsprache zu bleiben – ein Großbühnen-Champion spielerisch auf dem Kleinfeld, also in der kammermusikalischen Reduktion vorankommen?
Im Jubiläumsjahr hat sich das künstlerische Leitungsteam der RathausOper Konstanz für die bereits im Jahr 1994 entstandene Bearbeitung durch den Schweizer Komponisten Martin Derungs entschieden. Wie traurig, dass die Nachricht von dessen Tode in Folge langer Krankheit das „Pagliacci“-Team mitten in der Produktionsvorbereitung erreichte. So kann man die bereits dritte Konstanzer Inszenierung der 1892 in Mailand uraufgeführten Oper sicher auch als Hommage an den Komponisten würdigen, der u.a. bei Günter Bialas in München studierte und mit seinem Gesamtwerk Anerkennung als einer der führenden Schweizer Komponisten seine Generation erhielt.
Unter dem präzisen Dirigat von Eckart Manke fällt es den 15 Musikerinnen und Musikern hörbar leicht, die atmosphärisch aufgeladene, farbig instrumentierte und gekonnt auch mal „schräg“ mit Leoncavallos Leitmotiven arbeitende Partitur, in der das unausweichliche Unheil subtil lauernd mitschwingt, lebendig, transparent und pointiert zu gestalten. Bewusst verzichtet die Bearbeitung auf den romantischen Gesamtklang zugunsten der Fähigkeit, „den Notentext beinahe analytisch zu durchdringen“ (Derungs).
Mit weitaus weniger Originalität – wenngleich das Bügeleisen, das Nedda zur Abwehr einsetzt oder das unbeugsame Gummihuhn im Komödien-Kochtopf des zweiten Akts für Lacher im Publikum sorgen –, konventionell und meist im „Frontalmodus“ der Agierenden setzt Regisseur Andreas Merz Raykov das szenische Geschehen auf der von Mariia Krutoholova (Bühnenbild) und Joachim Steiner (Kostüme) ausgestatteten Bühne um. Im zeitlichen Irgendwo verortet, vertraut er – sicher nicht ganz zu Unrecht – stark auf die emotionale, die Figuren charakterisierende und das Geschehen tragende Kraft des Librettos und die vielen intensiven ariosen Momente im intriganten Spiel des verschmähten, seelisch so verletzten Tonio.
Dem verleiht Nicola Ziccardi dominante Züge und die dafür nötige Bariton-Wendigkeit samt Fülle. Leider (angesagt) indisponiert müht sich Antonio Signorello nach besten Kräften, seine Partie des Canio doch wirksam zu gestalten. Der noch jungen, vokal wie darstellerisch präsenten Anastasia Churakova nimmt man den belastenden Gewissenskonflikt zwischen der Loyalität gegenüber Ehemann Canio und ihrem Sehnen nach einem selbstbestimmten Leben und der Liebe zu ihrem Silvio (souverän: Hongyu Chen) gerne ab, so gekonnt, wie sie ihre Nedda verkörpert. Zurecht mit Szenenbeifall bedacht wird auch Tenor Luca Festner (Beppe), dessen glutvolles „Harlekin“-Ständchen die Herzen betört.
Somit lautet die Antwort auf die obigen Match-Fragen: Es bleibt beim Unentschieden und letztlich Geschmackssache. Das „Bajazzo“-Original würde sowohl den Raum und das im Rahmen der engagierten und erfolgreichen RathausOper Mögliche sprengen. Und so wird die Kammerfassung vom Publikum verdient mit langem Premierenbeifall bedacht.
Renate Baumiller-Guggenberger
„Pagliacci“ („Der Bajazzo“) (1892) // Dramma von Ruggero Leoncavallo in der kammermusikalischen Bearbeitung von Martin Derungs