Regisseur Roland Schwab liefert einen Gegenentwurf zu gängigen Aktualisierungsversuchen des Ausnahmewerkes. Soviel Erdenferne und Universumsnähe gab es bei Wagners „Tristan und Isolde“ seit Ruth Berghaus nicht. Zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele wähnt man sich in einem Raumschiff, das in Sachen Erkundung unendlicher Weiten der Liebe unterwegs ist. Aber doch auch nicht. Denn der sternenklare Blick in den Himmel ist das eine. Es gibt aber auch den Blick nach unten, in den Abgrund der Leidenschaft. Als Gegenstück zum ovalen Himmelsblick findet sich auf der (post-Neubayreuther?) Scheibe ein Ausschnitt mit Meereswellen – vielleicht ein Pool. Aber wir sind an keinem konkreten Ort und schon gar nicht auf einem Luxusliner mit Braut-Fracht. Wir sehen Isolde am Rande eines Abgrunds, in dem die Leidenschaften Bild geworden sind. Blutrot. Dann aber als ein Strudel, der zwei Liebende aufeinander zu und hinab zu ziehen scheint. Man sieht, was man hört, und umgekehrt. Alles übersetzt in eine eigene Welt, ist es doch klar und nachvollziehbar. Tristan und Isolde können über diesen Boden gehen. Kurwenal oder Brangäne kämen nicht mal auf die Idee, ihn zu berühren.

Im zweiten Akt kommen Tristan und Isolde durch eine gleißend taghelle Öffnung in das Dunkel ihrer Liebesnacht. In der dann sogar die Sterne tanzen. Wenn ihre Begegnung auffliegt, macht Melot daraus ein Tribunal. Tristan landet auf einem Stuhl in der Mitte und Isolde wird mit einem der Suchscheinwerfer immer wieder geblendet. Grandios das Bild, wenn unzählige, gleißend weiße Neonröhren auf Tristan herniedersinken und er von dieser Überdosis Tageshelle tödlich verwundet wird. Im dritten Aufzug wuchern Trauerweiden von oben in die Szene. Tristan – ganz in Weiß – liegt da schon zwischen Kerzen wie ein Toter. Auch Isolde kommt in Weiß. Wenn sie zu ihrem Liebestod anhebt, taucht ein greises Paar (das uns davor schon in jüngeren Jahren begegnet war) auf und bleibt aufrecht an der Rampe stehen, während die anderen Liebenden hinter ihnen in ihrer Welt versinken.

Schwab wirft die „Tristan“-Rezeption nicht um, erfindet nichts neu. Aber das Tröstliche einer grenzenlosen Liebe über den Tod hinaus einzufangen, das versucht er schon. Dank Bühnenbildner Piero Vinciguerra, Gabriele Rupprechts Kostümen und den Videos von Luis August Krawen mutet das alles sehr ästhetisch an.

Und sehr sängerfreundlich. Dabei kann er sich auf eine erfahrene Crew stützen. Catherine Foster ist eine phänomenale Isolde mit einem umwerfenden ersten Akt und einem krönenden Liebestod vom Feinsten. Dass man zwischendrin nicht jedes Wort versteht: was tut’s. Stephen Gould liefert einen Tristan ohne Gefährdungen ab, der die Erinnerung an seinen vorigen deutlich übertrifft. Exzellent Ekaterina Gubanova als Brangäne und ein wunderbar klarer Markus Eiche als Kurwenal. Georg Zeppenfeld muss nicht beweisen, dass er ein Referenz-Marke ist, und tut es doch.

Dass Markus Poschner, der den beim „Ring“ aushelfenden Cornelius Meister ersetzt, nach nur zwei Proben mit dem Orchester mit seinem zupackend-diesseitigen Dirigat eigene Akzente setzt, die Sänger auf Händen trägt und doch den großen Bogen liefert, qualifiziert ihn für mehr als eine Einspringer-Rückkehr in den verdeckten Graben. Der Jubel ist einhellig.

Roberto Becker

„Tristan und Isolde“ (1865) // Oper von Richard Wagner

Infos und Termine auf der Website der Festspiele