„Rita hat ihr persönliches Glück einer großen Idiotie untergeordnet: Ist das Sozialismus?“ – „Nein“, antwortet der alte Mann mit den dünnen grauen Haaren, „das ist Idiotie.“ Lässt sich die Essenz eines Lebens, einer Generation, einer ganzen Gesellschaft und eines Jahrhundertromans auf solch eine schlichte Aussage reduzieren wie nun im Mecklenburgischen Staatstheater?

Natürlich, es ist ein Musical, das hier am Schweriner Theater seine Uraufführung erlebt: ein Genre, das naturgemäß nicht eben vor Tiefgang strotzt und dramaturgisch Beziehungsreduktionen verlangt. Doch wer sich ein literarisches Stück Zeitgeschichte wie Christa Wolfs Erzählung „Der geteilte Himmel“ aus dem Jahr 1963 vornimmt – diese Geschichte der an den politischen Umständen in der DDR schmerzlich scheiternden Liebe von Rita und Manfred – und damit die deutsch-deutsche Teilung in neuem Gewand erzählen will wie nun Texter Martin G. Berger, Komponist Wolfgang Böhmer und Regisseurin Melissa King, muss sich auch an dieser Quelle messen lassen. Und da bleiben im Großen Haus nach zweieinhalb Stunden doch einige Fragezeichen.

Dass das Staatstheater für dieses Großprojekt alle Kräfte von der bravourös aufspielenden Mecklenburgischen Staatskapelle bis zur Company Ballett X Schwerin aufgefahren hat, sorgt zumindest dafür, dass kein Stillstand auf der Drehbühne herrscht. In deren Mitte prangt ein grauer, asymmetrischer Quader: Mal Mauer, mal Treppe, mal Wohnzimmerwand, mal Schlafstatt, mal Auf-, mal Abgang entspinnt sich hier nicht nur das junge Liebesglück, sondern auch der Clash der Systeme. Doch wo die Autorin einst auf ebenso sensible wie glaubwürdige Weise diesen Prozess des Auseinanderdriftens schilderte, bleibt nun vieles eher an der plakativen Oberfläche. Das mag bisweilen ganz nett anzuschauen sein, wenn die Brigade zur Planerfüllung auftanzt oder Manfred das wunderschöne Braun seiner Rita beschwört. Doch der Unterhaltungswert solcher, Alltag und Mentalität der frühen sechziger Jahre amüsant-klug verdichtenden Bilder nutzt irgendwann ab. Und lenkt den Fokus auf das Geschehen …

… das einfach nicht für dieses Genre taugt. Was nicht an Böhmers Kompositionskunst liegt, ganz im Gegenteil weiß der Wahl-Berliner mit ebenso s(ch)wingenden wie differenzierten Songs zu punkten, vor allem aber den verschiedenen Charakteren eigene Klangfarben zu verleihen. Das ist bei allen Anleihen an die Musik jener Jahre durchaus zeitgemäß und selbst ohne Hitpotenzial hörenswert, zumal die beiden Protagonisten in Musical-Sängerin Sophia Euskirchen und Bariton Martin Gerke ein reizvolles sängerisches Kontrastprogramm bieten. Doch King hat einfach keine Idee entwickelt, die wie die Musik aufhorchen lässt und der Inszenierung mehr als nur ein paar starke Bilder verleiht – trotz manch klugen Textschachzugs Bergers, der die Bühne schon bereitet hat für den Sprung in die Gegenwart, indem er als Rahmenhandlung den alten Manfred auf Ritas Enkelin treffen und erzählen lässt. Und so bleibt am Ende auch der Musical-Himmel geteilt.

Christoph Forsthoff

„Der geteilte Himmel“ (2023) // Musical von Wolfgang Böhmer (Musik) und Martin G. Berger (Text) nach Motiven von Christa Wolfs gleichnamigem Roman

Infos und Termine auf der Website des Mecklenburgisches Staatstheaters