Von Monteverdis Vertonung des Mythos um Orpheus und Eurydike wird angenommen, dass sie die erste Oper der Musikgeschichte ist – zumindest ist sie die erste erhaltene Frühform der Oper, die mit der Uraufführung 1607 in Mantua erstmals Instrumentalmusik, Gesang und Tanz auf eine Bühne brachte. 400 Jahre und zahlreiche Seuchen später passt „L’Orfeo“ gut in die aktuelle Pandemie-Zeit, befand man am Staatstheater Nürnberg und wagte nach der viralen Zwangspause mit der „Oper Nr. 1“ den Neustart. Die Digitalisierung unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens spiegelt sich – durchaus nachvollziehbar – in Jens-Daniel Herzogs Inszenierung, die zu Beginn etwas zu viel von einer hektischen Videoinstallation mit Barockmusik hat. Da wird ausgelassen Hochzeit gefeiert, simultan via Smartphone dokumentiert, gepostet und gesocialnetworked. Erst nach Euridices Unfall – etwas überflüssigerweise mit Krankenwagentransport und nachfolgender OP auf mobiler LED-Wand bebildert – wird’s weniger plakativ. Von einem Moment auf den anderen ist es mit dem sozialen Leben vorbei. „Social Distancing“ ist das Gebot unserer Zeit – Abstand halten aber, das kann Orfeo nicht, ganz im Gegenteil. Er sucht nach der Erfüllung im Zusammensein mit Euridice und macht sich auf in den Hades. Dazu müsste er nicht zwingend nach unten, die Hölle findet man in dieser Inszenierung auf Erden, eindringlich illustriert mit brennenden Landschaften, Industriebrachen und Corona-Gräberfeldern auf der allgegenwärtigen Videoleinwand. Wohltuend die Augenblicke, wenn sich Aug’ und Ohr’ auf die wunderbare Musik konzentrieren können, etwa wenn Orfeo (Martin Platz) Caronte mit seiner Sangeskunst überzeugen will oder Proserpina (Almerija Delic) ihren Göttergatten um Gnade für die Liebenden bittet.

Überhaupt ist die musikalische Gestaltung dieses „L’Orfeo“ ein Gewinn – den bekannten Umständen geschuldet, wollte Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz nach der Zwangspause ihre bestens aufspielende Staatsphilharmonie zum Einsatz bringen. Sie erarbeitete mit Frank Löhr zusammen eine eigene, mit moderner Musik und Soundelementen durchdrungene Fassung, die fast wie ein Film-Soundtrack die Handlung begleitet. Ausschließlich akustisch erzeugt erklingen Herzschläge und tiefes Wummern. Und wenn Orfeo mit Euridice im Schlepptau glücklich die Unterwelt verlässt, wird Monteverdis „gehender Bass“ kurzzeitig durch eine Jazzeinlage fortgeführt. Faszinierend, wie Mallwitz ihre Musiker – im Orchestergraben, beidseitig auf den Rängen, hinter der Bühne platziert – koordiniert, aus den derzeitigen Abstandsregeln eine Tugend macht und gleichzeitig des Komponisten Experimentierfreude mit Echos künstlerisch fortführt. Monteverdi in Dolby Surround – großartig! Das Sängerensemble des Staatstheaters legt stimmlich und schauspielerisch einen überzeugenden Auftritt hin und das Ganze ist ohne Übertreibung ein wahres „Klangfest“.

Dany Mayland

„L’Orfeo“ (1607) // Claudio Monteverdi; Orchesterfassung von Frank Löhr und Joana Mallwitz