Die New Yorker Met eröffnet nach 18 Monaten Schließung mit der ersten Oper eines afroamerikanischen Komponisten in ihrer Geschichte. Der Jazztrompeter Terence Blanchard hat sich auch als Filmkomponist einen Namen gemacht und schrieb seine erste Oper basierend auf den Memoiren des schwarzen Journalisten Charles M. Blow.

Die Handlung spielt zwar in einem schwarzen Umfeld, wird ebenfalls erstmals an der Met von der schwarzen Regisseurin und Choreographin Camille A. Brown umgesetzt – das Thema ist jedoch ein allgemein menschliches. Es hat alle Elemente, die eine Oper braucht, es geht um Wut, Trauer, Liebe, Hass, Missbrauch, Verletztheit, um all die großen Gefühle. Sie finden sich wesentlich stärker im Text und in der Darstellung als in der Musik. Man spürt, dass Camille A. Brown vom Film kommt, auch das Libretto oder in diesem Fall das Skript ist durchwegs filmgerecht. Natürlich verstärkt sich dieser Eindruck noch durch die besuchte Übertragung im Rahmen der Reihe „Met Opera live im Kino“.

Die Musik hat ebenfalls viel von Filmmusik – für an die klassische Opernliteratur gewöhnte Ohren bleibt sie eher diesem Genre verhaftet. Klug eingesetzte Wiederholungen wie „… the south is no place for a boy of peculiar grace …“ oder die wiederholt eingesetzte Aufforderung Billies „… sometimes, you gotta leave it in the road …“ spielen mit Motivtechnik, der generelle Musikduktus arbeitet mit Jazzelementen, Gospelchören bis zu ariosen Stellen in der Tradition von Puccini. Im Ohr bleibt keine Melodie, es sind die Textstellen, die in Erinnerung bleiben.

Unglaublich beeindruckend allerdings die Protagonisten. Will Liverman singt Charles, der sich als Kind nach Liebe sehnt und sie nicht so findet, wie er es bräuchte. Er wird von seinem Cousin missbraucht und es bleibt ihm nur die Andersartigkeit. Livermans Intensität der Darstellung und auch seine gesangliche Leistung beeindrucken. Sein junges Ich Char’es-Baby wird von Walter Russel III verkörpert und gesungen. Der Komponist unterstützt die Knabenstimme dadurch, dass er das erwachsene Alter Ego viele Stellen mitsingen lässt – man merkt, dass das dem jungen Darsteller hilft.

Atemberaubend ist Latonia Moore als Billie – eine Mutter von fünf Söhnen, die ihren Mann, der sie laufend betrügt, hinauswirft und die Söhne alleine durchbringt. Sie wird unterstützt von ihrem Bruder, arbeitet in der Hühnerfabrik und kann, erschöpft durch den Kampf ums Überleben, dem jungen Charles nicht die Liebe geben, nach der er sich sehnt. Erst am Ende werden für beide die erlösenden Worte „I love you“ möglich. Latonia Moore agiert nicht nur stimmlich hervorragend, auch ihre Darstellung ist unglaublich intensiv. Angel Blue begleitet Charles als Destiny, Loneliness und Greta – auch sie großartig, sowohl darstellerisch wie musikalisch.

Die Einsamkeit bleibt die ständige Begleiterin im Aufsteigertraum von Charles, der sich durch sein Studium erfüllt. Seine Begegnung mit Greta, in die er sich verliebt und die sich aber für einen anderen entscheidet, verwirft ihn wieder auf die Einsamkeit.

Thema und Verortung sowie die musikalische Umsetzung sind in dieser Form auch zutiefst amerikanisch. Nur eine Herangehensweise ohne die Last langer Tradition macht ein derartiges Werk möglich – und ganz sicher sehens- und hörenswert. Insbesondere in dieser Besetzung, die von Yannick Nézet-Séguin großartig geführt und begleitet wird. Die knappen drei Stunden inklusive Pause verlieren keinen Moment an Spannung.

Gabriela Scolik

„Fire Shut Up in My Bones“ (2019) // Oper von Terence Blanchard