Viel war bereits im Vorfeld in den Feuilletons zu lesen über den „80-jährigen Regiedebütanten“, den glamourösen Maler-Superstar Markus Lüpertz und seinen Anspruch, „Farben zum Singen“ zu bringen. Werk und Ort seiner Wahl: Puccinis „La Bohème“ am kleinen, aber feinen Staatstheater Meiningen. Beides im Nachhinein betrachtet ein Coup in perfektem Einklang zum gewünschten Ergebnis – und erstaunlicherweise wie geplant vor Live-Publikum.

Gut möglich, dass die von überall her zur Premiere angereiste Lüpertz-Fangemeinde mehr Provokation erwartet hatte. Stattdessen: Standing Ovations allenthalben und ein sichtlich zufriedener Künstler beim Schlussapplaus.

Als den „Opernkomponisten schlechthin“ bezeichnet Lüpertz Puccini, stellt demzufolge die Musik in den Mittelpunkt seiner Inszenierung – und seine Sänger fast durchgehend semikonzertant an die Rampe. Was manchmal erzählerisch nicht ganz aufgeht – etwa, wenn Rodolfo im dritten Bild Mimìs plötzliches Erscheinen besingt, ohne sie sehen zu können – vermittelt an anderen Stellen spannende neue Blickwinkel auf Altbekanntes. Intim, berührend und persönlich: eine aufrecht am Bühnenrand stehend sterbende Mimì, die mit letztem, sichtbarem Aufatmen die Augen schließt und in helles Licht getaucht in eine andere Welt übergeht. An ihre Seite tritt der personifizierte Tod aus der Kulisse, während Rodolfo die Geliebte im gebührenden Abstand schmerzhafter Trennung fast wie Orpheus seine Eurydike chancenlos und körperlich isoliert an die Unterwelt verliert.

Lüpertz’ Welt der Oper ist kein modernes Musiktheater. Seine „Bohème“ ist eine liebevolle Reise in die Phantasie und Hommage an Künstlichkeit und Nostalgie ohne Kitsch. Hier inszeniert ein Maler, der sich ausschließlich gemalter Bühnenbilder und zweidimensionaler Requisiten bedient, die wie Kulissen hin- und hergeschoben werden und in rührender Klapprigkeit an das Papiertheater des 19. Jahrhunderts erinnern. Opéra-comique-artige Clown-Figuren werden zu menschlichen Leinwänden und ebenfalls bemalt, der grell-grün gekleidete Chor zum übergroßen Tannenbaum-Hintergrund der „Momus-Szene“ drapiert. Und es gibt noch ein persönliches Detail: Lüpertz stellt dreien der vier Bilder eigene, atmosphärische Texte voran, die er auch gleich selber spricht.

Ein Glücksfall für diese Inszenierung ist das überzeugende Solistenensemble des Meininger Staatstheaters, allen voran die türkische Sopranistin Deniz Yetim, die mit großer Stimmflexibilität gekonnt zwischen anrührenden Piani und dramatischem Forte balanciert. An ihrer Seite Alex Kim, ein strahlender Rodolfo in bester Tenor-Manier mit manchmal ein klein wenig zu viel Power. Monika Reinhard singt, spielt und ist die quirlige Musetta, die man sich wünscht. Und auch die übrige Besetzung mit Julian Younjin Kim (Marcello), Johannes Mooser (Schaunard), Selcuk Hakan Tıraşoğlu (Colline) und Stan Meus (Parpignol) überzeugt ohne Einschränkungen. GMD Philippe Bach am Pult der Meininger Hofkapelle jongliert den emotionalen Puccini-Klang zwischen bewegten Gemälden und stehenden Protagonisten souverän und mitreißend.

Iris Steiner

„La Bohème“ (1896) // Oper von Giacomo Puccini

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