Was für ein denkwürdiger Abend, wenn bei dem bedeutendsten Opernereignis des Jahres der italienische Präsident den größten Beifall erntet. Allein sechs Minuten währen die Ovationen für den 80-jährigen, aus seinem Amt scheidenden Sergio Mattarella. Für das bis in kleinere Rollen hochkarätig besetzte Ensemble fällt der Beifall deutlich matter aus, für die Regie gibt es lautstarke Buhrufe.

Ausgerechnet Anna Netrebko, die sonst so verlässliche Größe, hat in den höheren Registern zu kämpfen. In der ersten Arie der Lady „Ambizioso spirto“ verrutscht ihr ein Spitzenton, den sie nachjustieren muss. Auch in den folgenden Szenen tönt ihr Sopran recht angestrengt in den Höhen. Noch dazu – und das erscheint noch gravierender – bleibt sie der Figur, die ihren Mann zu mehreren Morden anstiftet, alles Abgründige schuldig. Mehr auf schönen Klang bedacht, den sie immerhin in der Mittellage und Tiefe mit großer Stimme aufbieten kann, erinnert ihre mondäne Lady in prächtigen blutroten Designer-Roben (Kostüme: Gianluca Falaschi) eher an die Violetta in „La traviata“. Das liegt vor allem daran, dass sie ihrem Text seitens Ausdruck zu wenig Rechnung trägt. Das Premierenpublikum quittiert solche Schwächen gnadenlos mit Buhrufen. So heiß ging es an der Scala beim Auftritt einer Primadonna lange nicht mehr her.

Das wenig überzeugende Rollenporträt hat auch Davide Livermore zu verantworten, der sich für die Psychologie der Figuren nicht sonderlich interessiert, sondern vielmehr mit spektakulären Zooms und Kamerafahrten seiner Faszination am Kino frönt (Video: D-Wok). Zu sehen gibt es bewegte Tableaus von Wäldern, Wolken und einer heutigen Mega-City, die mit imposanten Wolkenkratzern und Häuserschluchten unweigerlich an Fritz Langs Filmklassiker „Metropolis“ erinnert. Aber die Multimedia-Show läuft neben dem Geschehen her, schafft keine Spannung und ersetzt nicht die mangelhafte Arbeit am Text.

Schaurig, düster oder gar gespenstisch wird es nie, auch nicht in den zackigen Tanz-Einlagen, mit denen Daniel Ezralow die Auftritte der weissagenden Hexen befremdlich choreografiert. Und dann ist der Regisseur noch auf die Schnapsidee gekommen, den Brief, der die erste große Szene der Lady einleitet, einer Männerstimme aus dem Off zu übertragen. Wie nur konnte Riccardo Chailly als musikalischer Leiter das durchgehen lassen? Und auch damit, wie sich Chailly in seinem Bemühen um Dramatik ganz auf die lauten Stellen konzentriert, kann sein Verdi nicht wirklich überzeugen. Leise grummelnde Tremoli wirken eben doch unheimlicher als Fortissimo-Schläge. 

Allein Luca Salsi in der Titelpartie des Macbeth setzt der Aufführung ein Glanzlicht auf, so wie er den von Verdi auf jedes Wort exakt abgestimmten Farbwechseln penibel Rechnung trägt. Ebenso mit überzeugenden gesanglichen Leistungen treten in kleineren Rollen Ildar Abdrazakov (Banco) und Francesco Meli (Macduff) hervor. Wer sich noch einmal mitreißen lassen will von einer wahrlich faszinierenden Produktion der Oper, sollte unbedingt die Ausstellung besuchen, die das Museum der Scala aktuell dem großen Theatermacher und Regisseur Giorgio Strehler mit zahlreichen Video-Auszügen widmet. Da laufen einem wahrlich Schauer über den Rücken. 

Kirsten Liese

„Macbeth“ (1847) // Melodramma von Giuseppe Verdi