Nebelmaschine, Glitzerregen, technische Zaubereien – das alles braucht die knapp einstündige Kinderoper „Der Zauberer von Oz“ am Volkstheater Rostock nicht, um zu bezaubern. Sie ist ein in jeder Hinsicht ehrliches Stück Musiktheater, das mit seinen genuinen Bordmitteln Groß und Klein zugleich beglückt. Bei diesem „Musiktheater für alle“ handelt es sich um eine Koproduktion des Volkstheaters Rostock und der Opernfestspiele Heidenheim, wo im Sommer 2023 die Uraufführung in einem Zirkuszelt stattfand. Die Rostocker Version setzt nun auf die Intimität des kleinen Ateliertheaters. Mittendrin statt nur dabei, so die Devise. Ganz nah sitzen die Kinder am Geschehen und können mitten hinein in die fabelhafte Wunderwelt tauchen und mit Dorothy und ihren Freunden interagieren.

Der Librettist (und „orpheus“-Autor) Stephan Knies orientiert sich am Roman von Lyman Frank Baum und nicht an der Verfilmung mit Judy Garland. Durch kluge dramaturgische Setzungen gelingt ihm eine harmonische Spannungskurve. Lucy Landymores expressive Musik unterstützt dies, fordert den Musikerinnen und Musikern allerdings einiges ab.

Stimmlich überragend ist Leila Schütz, die in vier Rollen (Tante Em, Glinda, Hexe des Westens, Wärterin) brilliert. Auch Tobias Zepernick (Vogelscheuche) oder Jussi Juola (Löwe) vereinen Spielfreude und stimmliche Meisterschaft. Ein toller Twist ist es, den Blechmann als Schlagzeuger zu interpretieren – umso größer die Anforderungen an den Darsteller, der nicht nur ein exzellenter Perkussionist sein muss (wie die Komponistin Landymore), sondern auch ein veritabler Schauspieler und Sänger. Anton Thelemann erweist sich als Glücksfall für diese Produktion. Darstellerisch dominiert Margherita Campostrini als Dorothy die Bühne. Ihr gelingt das Kunststück, jenseits der archetypischen Judy-Garland-Dorothy eine eigene, moderne Heldin zu erschaffen.

Das Publikum erlebt in Rostock eine erfreulicherweise entstereotypisierte Lesart. Dorothy ist eine moderne Heldin im metallisch glitzernden Manga-Look mit Sailer-Moon-Buns, die Vogelscheuche schlüpft hingegen in Mieder und trägt verzierte Damenhüte. Für die lustvollen Kostüm- und Bühnenentwürfe ist das international renommierte Performance-Duo VestAndPage verantwortlich. Mit viel Liebe zum Detail zeichnen sie ein monotones Kansas, ein fabelhaftes Oz und bezaubernde Figuren. Regisseurin Christine Gegenbauer erzählt ein stimmungsvolles, rundes Märchen, das Spaß macht und die bekannten Vorlagen fast gänzlich vergessen lässt.

Ein tolles Stück zeitgenössisches Musiktheater, das Groß und Klein zugleich fasziniert und jenseits kitschiger Klischees intuitiv zugängige zeitgenössische Musik für Kinder anbietet. Die lebhaften Reaktionen der Kinder bestätigen: Es funktioniert!

Dr. Dimitra Will

„Der Zauberer von Oz“ (2023) // Musiktheater für alle von Lucy Landymore

Infos und Termine auf der Website des Volkstheaters Rostock