Bei der Uraufführung im Jahre 1791 ging es Mozarts letzter Oper schlecht. Überwiegend uninteressierte Gäste konnten mit der neuen Oper „La clemenza di Tito“, komponiert zur Krönung des Kaisers Leopold II. zum König von Böhmen, nicht viel anfangen. Und der ansonsten gebildete Staatsmann Karl von Zinzendorf notiert über diese erste Aufführung in sein Tagebuch, dass die Oper ein „plus ennuyeux spectacle“, also „ein äußerst langweiliges Schauspiel“ sei. Bis heute muss sich dieses Werk immer wieder seinen Platz neben den „großen“ Opern Mozarts erobern. Dazu bedarf es eines Regisseurs, der die tiefgehende Philosophie dieses Werkes aufspürt und in Bilder umzusetzen weiß. Dietrich W. Hilsdorf ist dafür der richtige Mann. Für die Bühne ließ er Riesenfragmente barocker Bildkunst über das antike Forum Romanum einschließlich des Titusbogens herstellen. Davor entwickelt er ein zunehmend packendes Psychodrama zwischen Lüge, Macht, Rache, Schuld und Vergebung. Dabei lässt er das Solistenensemble während der gesamten Oper nur ganz selten von der Bühne. Stattdessen sitzen sie am Rande der Bühne vor normalen Theaterschminktischen. Von dort verfolgen sie zwar ab und zu das Bühnengeschehen, verlassen ihre Plätze aber nur zu ihren eigenen Auftritten. Und die haben beeindruckendes Format.

Emilie Renard füllt die Rolle des Sextus als Freund von Kaiser Titus mit erschütternder Tiefe. Ihre Darstellung des Konflikts zwischen Freundschaft zum Kaiser und Liebe zur Kaisertochter Vitellia (glänzend Noa Danon), die ihn zum Vatermord anstiften will, geht unter die Haut. Ganz große Gesangs- und Darstellungskunst! Auch in den weiteren Rollen zeigt das Ensemble hohe Solo-Qualität: Emanuele D’Aguanno mit edler Stimmfärbung als Kaiser Titus, der seine Rachegefühle unterdrückt und dem Attentäter vergibt; Hyejin Lee als Servilia mit anrührendem Stimmencharme die Schwester des Sextus gestaltend und Isabel Stüber Malagamba als Servilias Geliebter Annius. Des Weiteren gewinnt Berenike, die Geliebte des Kaisers, durch Marianne Leineweber bemitleidenswerte Gestalt und Marcel Reitter gibt den Mitverschwörer Lentulus. Beeindruckend die Stimme und Darstellung des machtbewussten und gnadenlosen Präfekten Publius durch Marko Pantelić.

Zu den musikalischen Höhepunkten der Inszenierung wird neben den großartigen Soli das Singen im Ensemble. Sensibel aufeinander hörend, finden die einzelnen Stimmen gemeinsame Schwingungen und singen mit einem Einklang, wie man ihn selten an Opernhäusern erleben kann. Diese Ensemble-Qualität betrifft auch die Zusammenarbeit mit dem Orchester. Fast auf Bühnenhöhe hochgefahren, kann Generalmusikdirektorin Anna Skryleva auf Augenhöhe mit der Bühne fein abgestimmte Momente zwischen Gesang und Orchester gestalten. Wenn auch der Streicherklang bei aller technischer Perfektion phasenweise distanziert wirkt, hört man gleichwohl viel instrumentalen Wohlklang. Souverän dirigierend und immer wieder phantasiereich die Rezitative am Cembalo begleitend, führt die Generalmusikdirektorin das von ihr selbst Corona-gerecht reduzierte Orchester durch diesen besonderen Abend. Viel Beifall von einem dankbaren Publikum.

Claus-Ulrich Heinke

„La clemenza di Tito“ (1791) // Wolfgang Amadeus Mozart