„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“: Goethes „Faust“-Thematik besagt, dass in jedes Menschen Seele helle und dunkle Seiten wirken. Sich ihrer bewusst zu werden und sie im besten Fall miteinander auszusöhnen, gilt als wichtiger Faktor psychischer Gesundheit. „Eltern haben, selbst bei einem Einzelkind, immer zwei Kinder“, heißt es eingangs in Cecilie Ekens preisgekröntem Gedichtband „Mørkebarnet“ („Schattenkind“). In der Komposition von Peter Bruun und dem Libretto von Jesper B. Karlsen verdient es sich unter der Regie von Andreas Weirich einen Stern am Kinderopernhimmel.

Die deutschsprachige Erstaufführung von „Schattenkind“ punktet in gleich mehrfacher Hinsicht als dankbares Sujet. In rund 50 Minuten Spieldauer kommen innerhalb der Opernhandlung auf unterschiedlichen Erfahrungsebenen unbequeme Eltern-Kind-Konflikte aufs Tapet. Dabei werden die Kinder in einer modernen Inszenierung an das Operngenre herangeführt. So wird das Publikum von morgen in kurz gehaltenen Gesangspartien und gesprochenen Textpassagen dafür sensibilisiert, wie stark Musik und Lichteffekte Stimmung erzeugen und dass ausdrucksstarkes Spiel mehr zu sagen vermag als Worte. Über aufgeworfene Fragen, Emotionen oder Erkenntnisse ließe sich nach- (oder bestenfalls auch) vorbereitend diskutieren – ob im Unterricht oder Elternhaus.

Eva Maria Amann sitzt als Lichtkind bei Vorstellungsbeginn im Zuschauerraum und schreibt traumversunken in ihr Tagebuch. Dann taucht sie in ihre Fantasiewelt ein, betritt die Bühne ihres Kinderlebens – liebmädchenhaft lächelnd, ein Goldkind. Zwei Stellwände (Ausstattung: Florian Angerer) versinnbildlichen ihr aufgeschlagenes Tagebuch, bieten aber auch eine Projektionsfläche für Schattenspiele: Danae Mareen erscheint als Schattenkind – wild und ungezähmt, ein wenig bedrohlich. Kaum treffen die beiden unterschiedlichen Mädchen aufeinander, wird ihr Dilemma offenbar. Die eine lockt verführerisch mit der Freiheit zu verbotenen Abenteuern, die andere pocht, brav und fein, auf uralte Regeln. Handfeste Auseinandersetzungen, Beschimpfungen und ein grausamer Goldfischmord: Während die eine, als „Gottesgabe“ im Garten Eden des liebenden Elternhauses erwünscht, auf einer Schaukel die Sonnenseite des Lebens feiert, fristet die andere in Ablehnung und Einsamkeit als Enfant terrible ein trauriges (Schatten-)Dasein.

Engelchen oder Bengelchen? Kein Kind ist immer nur brav oder böse. Gerade diese Ambivalenzen bieten ein Sprungbrett für die klangfarbenreiche musikalische Bearbeitung, die, von Jovan Tomic in solistischem Akkordeonspiel kultiviert, ein ganzes Orchester ersetzt – genial. Ob Forte, Adagio, laut oder leise, tief seufzend oder über die Tasten polternd: Musik, Gesang (musikalische Leitung: Dean Wilmington) und das erfreulich authentische Spiel der beiden Darstellerinnen werden eins. Das geht, wie auch die hoch sensiblen und stimmlich bravourösen Leistungen in den Gesangspartien, den Kindern als variationsreicher Emotionscocktail direkt unter die Haut.

Kirsten Benekam

„Mørkebarnet“ („Schattenkind“) (2012) // Kinderoper von Peter Bruun in einer Übersetzung von Peter Urban-Halle