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Rezensionen 2023/04

Brünstiges Begehren und Gewalt

Halfing / Immling Festival (Juni 2023)
Richard Strauss’ Musikdrama „Salome“ aus psychoanalytischer Perspektive

Halfing / Immling Festival (Juni 2023)
Richard Strauss’ Musikdrama „Salome“ aus psychoanalytischer Perspektive

Mit einem Paukenschlag eröffnet das Immling Festival die Saison. Intendant und Gründer Ludwig Baumann setzt Richard Strauss’ „Salome“ aufs Programm – eine zweifache Premiere. Denn das Musikdrama gab es noch nie in Immling zu sehen. Von einer solchen Dimension habe er bisher nur geträumt, erklärt Baumann zur Begrüßung vor ausverkauftem Haus.

Mit seiner Inszenierung lenkt er den Blick zurück in die Entstehungszeit der Oper. Aber er lässt sich nicht von der Begeisterung für Exotik, dem Jugendstil oder der Dekadenz des Fin de Siècle leiten, sondern greift Sigmund Freud und seine Erkenntnisse zum Unterbewusstsein auf. Fasziniert von den „extremen“ Charakteren, betrachtet er das Musikdrama, wie er im Programmheft betont, aus „psychoanalytischer Perspektive“. Zur Frage, ob plötzliche Laune oder existenzieller Zwang Salomes Verhalten und ihren Wunsch nach Jochanaans Kopf bestimmt, bezieht er mit seiner Regiearbeit eindeutig Stellung.

Die gesamte Bühne zeigt Baumann als Gefängnis. Düsternis bestimmt sie. Wie die an die Expressivität der Stummfilme erinnernden Projektionen (Linua Land und Mariella Weiss) ist bis zu den Kostümen (Camilla Wittig) alles in Schwarz-Weiß gehalten. Überall befinden sich Kameras. Nicht nur Jochanaan ist ein Gefangener – alle Figuren des Dramas sind es. Herodias ist verstrickt in ihre Schuld an doppeltem Ehebruch. Herodes wird getrieben von seiner Begierde, seinem Machthunger und seinen Schuldgefühlen. Die Prophezeiung Jochanaans, nach ihm werde einer kommen, der stärker sei als er, beängstigt ihn zutiefst. Er fühlt das Unheil kommen und sieht in allen Erscheinungen drohende Zeichen. Salome wird heimgesucht von ihrem Kindheitstrauma. Ähnlich wie Cyril Teste an der Wiener Staatsoper begreift Baumann Salome als ein in seiner Kindheit missbrauchtes heranwachsendes Mädchen. Diese Deutung zieht er stringent durch. Bereits zu Beginn zeigt er an der Bühnenrückwand Projektionen eines Kindes. Noch deutlicher wird es, wenn sich während des Tanzes der sieben Schleier ein schwarzer Schatten über das Kind schiebt. Baumann legt die Hintergründe offen und entlarvt die rauschhafte Einheit von Eros und Tod, brünstigem Begehren und Grausamkeit, die das Werk vor Augen führt. Entsprechend drastisch gestaltet er die Szene, wenn Salome den abgeschlagenen, blutenden Kopf Jochanaans küsst.

Getragen wird die Inszenierung von einem großartigen Sänger-Ensemble, allen voran Lidia Fridman, die eine phänomenale Salome von elektrisierender Präsenz auf die Bühne stellt. Ihr Sopran besitzt eine beeindruckende Flexibilität und Durchdringungskraft. Auch die übrigen Sänger wie Hans-Georg Priese (Herodes), Kassandra Dimopoulou (Herodias) und Rhys Jenkins (Jochanaan) überzeugen stimmlich und darstellerisch. Mit Verve leitet Cornelia von Kerssenbrock das Festivalorchester Immling, das sie um das Staatliche Kammerorchester Tiflis zu einem harmonischen Klangkörper geformt hat, und spornt es mit inspirierender Kraft zu Höchstleistungen an. Am Ende ist das Publikum spürbar überwältigt und feiert die Künstler mit langanhaltendem Applaus.

Dr. Ruth Renée Reif

„Salome“ (1905) // Musikdrama von Richard Strauss

Infos und Termine auf der Website des Immling Festivals

Engel der Vernichtung

Berlin / Deutsche Oper Berlin (Juni 2023)
Zerfall des Bürgertums in Battistellis „Il Teorema di Pasolini“

Berlin / Deutsche Oper Berlin (Juni 2023)
Zerfall des Bürgertums in Battistellis „Il Teorema di Pasolini“

Giorgio Battistelli (*1953) hat für seine jüngste Oper Pier Paolo Pasolinis (1922-1975) „Teorema“ als Vorlage benutzt: den Film von 1968 und das Buch. Ein junger Mann verführt als Gast mit seinem erotischen Charisma in einem großbourgeoisen Haushalt nacheinander Haushälterin, Sohn, Tochter, Mutter und dann auch noch den Vater. Auf seine Frage, wer der Besucher sei, habe ihm, so der Komponist im Programmheft, Pasolini geantwortet: „Denke ihn Dir als einen Engel, der vom Himmel gekommen ist. Einen Engel der Vernichtung.“ Wenn der metaphorisch der Auslöser für den Anfang vom Ende einer bourgeoisen Werteordnung ist, dann wird der eskalierende Zusammenbruch aller einzelnen Existenzen, der Familie und damit der Gesellschaft nach der Abreise des Fremden zur logischen Konsequenz.

Das britisch-irische Theaterkollektiv „Dead Centre“ (Ben Kidd und Bush Moukarzel) zeigt das als Laborversuch. Wie auf dem Display werden relevanten Daten für jede Szene auf einen Zwischenvorhang projiziert. Wissenschaftler wuseln mit der entsprechenden Ausrüstung und in weißen Schutzanzügen vor den Zimmern herum, die sich jeweils wie in einem Zoom öffnen und wieder schließen. Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer, Terrasse usw. tauchen mal einzeln auf, mal eins neben dem anderen, dann im zweiten Teil alle Zimmer auf einmal. Da ist der geheimnisvolle Besucher wieder verschwunden und alle sind auf sich selbst zurückgeworfen.

Jetzt spielen die im ersten Teil von Schauspielern gedoubelten Akteure auch. Mit ihren Parts zwischen Sprechgesang und Deklamieren berichten sie stets in der dritten Person von sich und ihrem Tun. Der Weg in den Abgrund ist flankiert von immer surrealeren Bildern. Hausmädchen Emilia (Monica Bacelli) etwa entschwebt wie eine Heilige gen Himmel. Mutter Lucia (Ángeles Blancas Gulin) stürzt sich in wilde Sexabenteuer. Pietro (Andrei Danilov) entdeckt den Aktionskünstler in sich, seine Schwester Odetta (Meechot Marrero) hat einen psychischen Knacks. Als Höhepunkt zieht schließlich Vater Paolo (Davide Damiani) nackt in die Wüste und entlässt uns mit einem Urschrei des Alleinseins. Nur für den Gast reichen Gestalt und Stimme von Nikolay Borchev. Allesamt sind erstklassig!

Daniel Cohen und das Orchester der Deutschen Oper Berlin zelebrieren diese über weite Strecken sinnliche, langsam atmende Musik mit Augenmaß und halten die atmosphärische Spannung dieses pulsenden Raunens, das sich mit handwerklicher Perfektion von vielen Quellen inspirieren lässt, langsam aufbaut und auch wieder abflaut.

Ob man nun einem Laborversuch oder der Geschichte einer großen Verführung zu sich selbst, einer Verunsicherung oder Apokalypse im Kleinen, eine Selbstbefreiung oder Selbstvernichtung beigewohnt hat, bleibt offen. Antworten sind dem Publikum überlassen – und das ist gut so. Der Beifall ist einhellig.

Roberto Becker

„Il Teorema di Pasolini“ (1992/2023) // Musiktheater von Giorgio Battistelli

Infos und Termine auf der Website der Deutschen Oper Berlin

Lohnendes Wagnis

Regensburg / Theater Regensburg (Juni 2023)
Maazels „1984“ als spannende Literaturoper

Regensburg / Theater Regensburg (Juni 2023)
Maazels „1984“ als spannende Literaturoper

Lorin Maazels Literaturoper „1984“, basierend auf dem Jahrhundertroman von George Orwell, auf den Spielplan zu setzen ist ein Wagnis. Nicht nur, weil das Werk bei seiner Uraufführung denkbar negativ rezensiert wurde, sondern auch, weil die Partitur so ausladend ist, so reich instrumentiert, dass ohnehin nur die größten Häuser sich daran versuchen können. London hat sich getraut, Mailand, Valencia. Und nun, nach über einem Jahrzehnt ohne eine Aufführung, Regensburg.

Inszeniert hat „1984“ Intendant Sebastian Ritschel selbst, der im Vorgespräch zur Inszenierung sagt, das Werk müsse heute neu gedacht werden. Das passiert in seiner Inszenierung allerdings nicht. Zwischen Gerüsten und Bildschirmen spielt sich eine konventionelle Operninszenierung ab. Stellenweise wird das Bühnengeschehen sogar langweilig, etwa in den langen Duetten mit Winston und Julia, in denen fast nichts passiert – ob das nun an Ritschels Inszenierung oder an der nicht optimalen Dramaturgie der Oper liegt, lässt sich schwer sagen. Überwiegend aber gelingt es der Regie, eine fesselnde Geschichte zu erzählen. Besonders die Massenszenen mit uniform gekleidetem Chor wirken. Die Aufführung ist nur eben kein brennend aktuelles, aufrüttelndes „1984“, sondern eine solide Literaturoper.

Natürlich wird in Regensburg nicht die Originalfassung der Oper gegeben – so groß ist der Orchestergraben des werdenden Staatstheaters nicht – sondern eine reduzierte Fassung von Norbert Biermann. Das Ergebnis begeistert sogar Dietlinde Turban Maazel, die Witwe des Komponisten. Sowieso vollbringt das Philharmonische Orchester Regensburg unter der Leitung von Tom Woods an diesem Abend Höchstleistungen. Von der Hymne Ozeaniens über jazzige Kaffeehausmusik bis hin zur intensiven Folterszene gelingen die verschiedenen Facetten des Werks höchst eindrucksvoll.

Auch das Sängerensemble ist äußerst souverän. Jan Żądło glänzt mit donnernder, aber doch immer verletzlicher Baritonstimme als Protagonist Winston Smith, an seiner Seite gibt Theodora Varga eine ausdrucksstarke Julia. Den O’Brien singt Anthony Webb. Seine lyrische, fast süße Tenorstimme klingt erst einmal gar nicht nach Bösewicht, passt aber deswegen umso besser zum schmeichlerischen Staatsdiener. Kirsten Labonte begeistert gleichermaßen als Gym Instructress und Drunken Woman, Jonas Atwood imponiert als Parsons, Carlos Moreno Pelizari singt souverän den Syme. Der Opernchor, einstudiert von Alistair Lilley, hat mit dem englischsprachigen Text zu kämpfen (ein paar Worte werden vernuschelt), ist aber im Großen und Ganzen überzeugend. Besonders bejubelt werden die jungen Sängerinnen und Sänger des Cantemus Chors, einstudiert von Matthias Schlier.

Beim Publikum kommt der Abend gut an. Die Premiere ist gut besucht, besonders junge Zuschauer unter 30 Jahren sind erfreulich zahlreich vertreten. Am Ende werden die Künstlerinnen und Künstler mit kräftigem Applaus belohnt. Das gewagte Experiment, „1984“ auf den Spielplan zu setzen, gelingt.

Adele Bernhard

„1984“ (2005) // Oper von Lorin Maazel in einer Fassung für mittelgroßes Orchester bearbeitet von Norbert Biermann

Infos und Termine auf der Website des Theaters Regensburg

Kehraus mit Händel

Berlin / Komische Oper Berlin (Mai 2023)
Abschied von der Behrenstraße mit dem Oratorium „Saul“

Berlin / Komische Oper Berlin (Mai 2023)
Abschied von der Behrenstraße mit dem Oratorium „Saul“

Die Opern und Oratorien von Georg Friedrich Händel gehören seit Jahrzehnten zum Kernrepertoire der Komischen Oper Berlin. So gesehen ist es nur recht und billig, als letzte Premiere der Spielzeit und vorerst letzte im neobarocken Theatersaal vor seiner umfassenden Renovierung ein Händel-Oratorium zu wählen.

„Saul“ komponierte Händel 1739, den Charakter des Konzertstückes kann es nicht verleugnen. Es als dramatisches Werk auf die Bühne zu bringen, ist kein leichtes Unterfangen. Axel Ranisch, der mit ein paar Filmen eine gewisse Popularität erreicht hat, unternimmt diesen Versuch, ohne aber zu einer überzeugenden Dramaturgie zu finden. Auffällig ist, dass er nie die Tiefe der Bühne nutzt, die teilweise auch mit Kulissen vollgestellt ist, und die handelnden Personen an die Rampe zwingt. Was im zweiten Teil eine silberne Discokugel und riesige Lautsprecher auf der Bühne zu suchen haben, bleibt unklar. Die für ihre Spielfreude und Virtuosität berühmten Chorsolisten des Hauses verdammt Ranisch zu beständigem Fahnenschwenken, dessen optische Wirkung sich durch Wiederholung schnell erschöpft. In der letzten Szene wird viel Theaterblut eingesetzt, auf dem beim Schlussapplaus ein Solist nach dem anderen ausrutscht. In der Summe also eine wenig überzeugende szenische Umsetzung.

Musikalisch fällt die Aufführung deutlich ansprechender aus. Dirigent David Bates, am Haus bereits mit Gluck erfolgreich, verfügt über die straffe Hand, derer es bedarf, um Chor, Solisten und das zum Teil auf Instrumenten der Zeit spielende Orchester zu koordinieren. Das gelingt ihm vortrefflich, schon nach der Pause wird er dafür mit starkem Applaus gefeiert. Bei den Solisten dominieren diesmal eindeutig die Herren. Luca Tittotos schlanker Bariton ist ein überragender Saul, Countertenor Aryeh Nussbaum Cohen erobert das Publikum als David mit betörend schönen Kantilenen, einen guten Kontrast dazu bietet Tenor Rupert Charlesworth als Jonathan. Tansel Akzeybek verleiht dem Hohepriester Würde und Statur. Dagegen fallen Nadja Mchantaf als Michal mit ein wenig spröder Höhe und Penny Sofroniadou mit etwas hartem Sopran doch deutlich ab.

Am Ende wird das ganze Ensemble einschließlich des hervorragend aufspielenden Orchesters frenetisch gefeiert. Regisseur Ranisch übersteht den Abend ebenfalls ohne Missfallenskundgebung, dafür ist seine Inszenierung zu beliebig. Auch Buhs wollen schließlich verdient werden. In den lang anhaltenden Schlussapplaus mischt sich Wehmut. Mindestens acht Jahre sind für die Sanierung und Erweiterung des Hauses veranschlagt, bei der Verlässlichkeit solcher Angaben dauert es wohl deutlich bis in die 2030er Jahre, ehe man wieder auf den roten Plüschsitzen Platz nehmen kann. Bis dahin wird auf alternative Spielstätten ausgewichen.

Peter Sommeregger

„Saul“ (1739) // Oratorium von Georg Friedrich Händel

Goldkind trifft auf Enfant terrible

Eggenfelden / Theater an der Rott (Mai 2023)
Überzeugende deutschsprachige Erstaufführung der Kinderoper „Schattenkind“

Eggenfelden / Theater an der Rott (Mai 2023)
Überzeugende deutschsprachige Erstaufführung der Kinderoper „Schattenkind“

„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“: Goethes „Faust“-Thematik besagt, dass in jedes Menschen Seele helle und dunkle Seiten wirken. Sich ihrer bewusst zu werden und sie im besten Fall miteinander auszusöhnen, gilt als wichtiger Faktor psychischer Gesundheit. „Eltern haben, selbst bei einem Einzelkind, immer zwei Kinder“, heißt es eingangs in Cecilie Ekens preisgekröntem Gedichtband „Mørkebarnet“ („Schattenkind“). In der Komposition von Peter Bruun und dem Libretto von Jesper B. Karlsen verdient es sich unter der Regie von Andreas Weirich einen Stern am Kinderopernhimmel.

Die deutschsprachige Erstaufführung von „Schattenkind“ punktet in gleich mehrfacher Hinsicht als dankbares Sujet. In rund 50 Minuten Spieldauer kommen innerhalb der Opernhandlung auf unterschiedlichen Erfahrungsebenen unbequeme Eltern-Kind-Konflikte aufs Tapet. Dabei werden die Kinder in einer modernen Inszenierung an das Operngenre herangeführt. So wird das Publikum von morgen in kurz gehaltenen Gesangspartien und gesprochenen Textpassagen dafür sensibilisiert, wie stark Musik und Lichteffekte Stimmung erzeugen und dass ausdrucksstarkes Spiel mehr zu sagen vermag als Worte. Über aufgeworfene Fragen, Emotionen oder Erkenntnisse ließe sich nach- (oder bestenfalls auch) vorbereitend diskutieren – ob im Unterricht oder Elternhaus.

Eva Maria Amann sitzt als Lichtkind bei Vorstellungsbeginn im Zuschauerraum und schreibt traumversunken in ihr Tagebuch. Dann taucht sie in ihre Fantasiewelt ein, betritt die Bühne ihres Kinderlebens – liebmädchenhaft lächelnd, ein Goldkind. Zwei Stellwände (Ausstattung: Florian Angerer) versinnbildlichen ihr aufgeschlagenes Tagebuch, bieten aber auch eine Projektionsfläche für Schattenspiele: Danae Mareen erscheint als Schattenkind – wild und ungezähmt, ein wenig bedrohlich. Kaum treffen die beiden unterschiedlichen Mädchen aufeinander, wird ihr Dilemma offenbar. Die eine lockt verführerisch mit der Freiheit zu verbotenen Abenteuern, die andere pocht, brav und fein, auf uralte Regeln. Handfeste Auseinandersetzungen, Beschimpfungen und ein grausamer Goldfischmord: Während die eine, als „Gottesgabe“ im Garten Eden des liebenden Elternhauses erwünscht, auf einer Schaukel die Sonnenseite des Lebens feiert, fristet die andere in Ablehnung und Einsamkeit als Enfant terrible ein trauriges (Schatten-)Dasein.

Engelchen oder Bengelchen? Kein Kind ist immer nur brav oder böse. Gerade diese Ambivalenzen bieten ein Sprungbrett für die klangfarbenreiche musikalische Bearbeitung, die, von Jovan Tomic in solistischem Akkordeonspiel kultiviert, ein ganzes Orchester ersetzt – genial. Ob Forte, Adagio, laut oder leise, tief seufzend oder über die Tasten polternd: Musik, Gesang (musikalische Leitung: Dean Wilmington) und das erfreulich authentische Spiel der beiden Darstellerinnen werden eins. Das geht, wie auch die hoch sensiblen und stimmlich bravourösen Leistungen in den Gesangspartien, den Kindern als variationsreicher Emotionscocktail direkt unter die Haut.

Kirsten Benekam

„Mørkebarnet“ („Schattenkind“) (2012) // Kinderoper von Peter Bruun in einer Übersetzung von Peter Urban-Halle

Von der Psychologie des Krieges

München / Bayerische Staatsoper (Mai 2023)
Verdis „Aida“ aus der Sicht der Leidenden

München / Bayerische Staatsoper (Mai 2023)
Verdis „Aida“ aus der Sicht der Leidenden

Statt goldener Elefanten paradieren Kriegsversehrte zum Triumphmarsch – erschreckend stimmig zur Musik und mit vorherrschender Botschaft: Krieg ist furchtbar, egal wo. In diesem Setting eines im Kostümbild von Carla Teti angedeuteten östlichen Regimes manifestiert Regisseur Damiano Michieletto Verdis Festmusiken gekonnt zu brutalen Stilmitteln musikalischer Kriegspropaganda. In bläulich-kalt ausgeleuchteten, nicht klar definierten Phantasieräumen (Bühne: Paolo Fantin) – zerbombte Wohnungen, Notunterkünfte – rieselt mehr und mehr Asche aus großen (Einschlag-?)Löchern von der Decke. Nach der Pause dominiert ein riesiger Ascheberg beinahe vollständig die Bühne und hat alles unter sich begraben.

Und in diesem Ansatz liegt auch die große Stärke seiner dystopischen Umdeutung: Michieletto nutzt die kammermusikalische Werkanlage und erzählt die Geschichte ohne jeden Pomp, vor dem Hintergrund einer morbiden Kriegsgeschichte und aus der persönlichen Sicht der Leidenden: Held liebt die falsche Frau, die strategisch passendere Rivalin wird nicht erhört, der Held zum Verräter degradiert und am Ende glücklich im gemeinsamen Tod mit der unselig Geliebten. Dabei weichen gängige goldene Ägypten-Klischees der dystopisch-pazifistischen Deutung, etwa wenn parallel zur Huldigung als Kriegsheld eine zweite Video-Handlungsebene Radamès’ psychisches Kriegstrauma thematisiert. Dass erzählerisch nicht immer alles in Gänze aufgeht und am Ende beim Tod in der Gruft etwas zu viel „Luftballon-Idylle“ herrscht, ist nicht weiter schlimm. Erschreckend offensichtlich fügen sich Triumph und Zerstörung sogar musikalisch stimmig ineinander – den einen oder anderen schaurigen Gänsehautmoment inklusive.

Die Schwächen dieser Produktion stecken leider ausgerechnet im wenig homogenen Solisten-Ensemble: Brian Jagde singt den Radamès durchgehend laut, unsensibel und ohne emotional erkennbarem Bezug zur Angebeteten – seine hohen Töne sind manchmal wirklich zu viel des Guten. George Petean als Amonasro klingt im Gegensatz dazu oft harmlos und kommt stellenweise gar nicht über das sehr deftig aufspielende Bayerische Staatsorchester unter Daniele Rustioni. Anita Rachvelishvilis Amneris kämpft sich mehr durch die Partie, als dass sie diese stimmlich gestaltet, die Aida der zu Beginn etwas nervösen Elena Stikhina könnte eine sensible, berührende sein – wenn ihre feinfühlige und innige Interpretation nicht von den Kollegen über den Haufen gesungen würde. Dass sie in ihrer körperlichen Präsenz samt (gewollt) unscheinbarem Kostüm nicht gegen die (übrigens sehr unvorteilhaft gekleidete) Rivalin ankommt, macht es auch nicht besser. Trotzdem mit Abstand die beste sängerische Leistung des Abends. Positiv und bühnenpräsent auch Alexandros Stavrakakis als König, stimmschön Alexander Köpeczi als Ramfis. Ausgesprochen beeindruckend und spannungsgeladen gestaltet der Chor (Einstudierung: Johannes Knecht) die Pianissimi, die selbst von der Hinterbühne aus eine sehr ergreifende Wirkung entfalten.

Iris Steiner

„Aida“ (1871) // Oper von Giuseppe Verdi

Infos und Termine auf der Website der Bayerischen Staatsoper

„Vergessen ist ein Menschenrecht“

Freiburg im Breisgau / Theater Freiburg (Mai 2023)
Uraufführung von Sara Glojnarićs Kammeroper „Neuro-Moon“

Freiburg im Breisgau / Theater Freiburg (Mai 2023)
Uraufführung von Sara Glojnarićs Kammeroper „Neuro-Moon“

Ein junges Paar entwickelt eine App, mit der man negative Erfahrungen löschen kann. Sara Glojnarićs neues Musiktheater „Neuro-Moon. Manage your Memories“, das im Kleinen Haus des Freiburger Theaters uraufgeführt wird, beschäftigt sich mit der Last der Erinnerung und dem Versuch, sich davon zu befreien. „Vergessen ist ein Menschenrecht“, deklamiert die selbstbewusste PR-Managerin Fenja (Mona Georgia Müller). Die Selbstoptimierungs-App wird zum Hype, ehe sich der Gesetzgeber meldet, dass auch die negativen Erinnerungen als Kulturgut gespeichert werden müssten. Nach einem Datencrash fliegt am Ende das ganze Entwicklerteam zum Mond, wo die neuen Server stehen – und lächelt in die Kamera.

Der Abend (musikalische Leitung: Friederike Scheunchen) beginnt mit einem ganz analogen Speichermedium. Die weiße, spacige Kostüme tragenden Musiker des ensemble recherche stanzen Lochstreifen aus, die sie in Spieluhren zum Klingen bringen. Nostalgische Klänge, die, digital bearbeitet, im Laufe des Abends immer wieder als Leitmotiv auftauchen. Wie überhaupt die Musik von Sara Glojnarić mit ihrer tonalen Grundlage, ihrer Transparenz und dem raffinierten, durchaus popartigen Synthie-Sound (Keyboard: Klaus Steffes-Holländer) überaus zugänglich ist. Vor allem schreibt die Komponistin, die gerade mit dem Förderpreis der diesen Kompositionsauftrag finanzierenden Ernst von Siemens Musikstiftung ausgezeichnet wurde, ganz traditionell für die Stimme.

Besonders große Kantabilität entfaltet Janina Staub als Programmiererin Selina in den vielen ruhigen, hoch liegenden Passagen. Mit betörendem Sopran erzählt diese Selina in der zweiten Szene von ihrer ersten, unglücklichen Beziehung, während ihr Freund Tilman (mit leichtem, warmem Bariton: Johannes Fritsche), der aufstrebende Neurologe, sich an den Selbstmord eines guten Freundes erinnert. Dazu sitzen die beiden auf der Couch und hören Claude Debussys „Clair de Lune“ auf dem Plattenspieler (Bühne und Kostüme: Sarah Mittenbühler). Bei manchen pathetischen Gesangsnummern wundert man sich über die zugrundeliegende, nüchterne Sprache der Librettistin Emma Braslavsky – wie im Duett „Neuro-Moon ist aufgegangen“, wenn Zeilen wie „Überlass Fenja die Geschäftsleitung“ mit großen melodischen Bögen versehen werden. Die gesprochenen Passagen sind stimmiger.

Mit dem Auftritt von Aslan (präsent: Yunus Schahinger) und Sumi (kristallin: Ani Yorentz), den beiden aalglatten, im Sessel fläzenden Firmenchefs, ändert sich die Musik. Christian Dierstein liefert harte Schläge am exponierten Drumset – schroffe Einwürfe statt wohlige Harmonien in den Streichern (Melise Mellinger/Violine, Åsa Åkerberg/Violoncello) und der Klarinette (Shizuyo Oka). Zur Vorbereitung der Mondfahrt kommt das ensemble recherche in der Bühnenmitte als Chor zusammen, während bereits goldene Tassen durch die Luft schweben (Video: Robert Läßig). Am Ende werden Papierhelme aufgesetzt. Und man bewegt sich zumindest musikalisch mit kreisenden Harmonien in die Schwerelosigkeit.

Georg Rudiger

„Neuro-Moon. Manage your Memories“ (2023) // Kammeroper von Sara Glojnarić

Stoppt den Zug!

Wien / MusikTheater an der Wien (April 2023)
Mit Mieczysław Weinbergs Oper „Der Idiot“ auf einer ermüdenden Reise

Wien / MusikTheater an der Wien (April 2023)
Mit Mieczysław Weinbergs Oper „Der Idiot“ auf einer ermüdenden Reise

Sein Leben wäre der ideale Stoff für ein Opernlibretto. Der beinahe in Vergessenheit geratene Komponist Mieczysław Weinberg (1919-1996) konnte auf ein schicksalsbewegtes Leben zurückblicken. Als Jude in Polen geboren, musste er 1939 vor den Nationalsozialisten fliehen. Russland war sein nächstes Ziel, weil er dort noch Verwandte hatte. Viele andere seiner Familie wurden Opfer von Hitlers Terrorregime. Weinberg geriet in die Fänge von Stalin, landete im Arbeitslager, und nur der Tod des Diktators bewahrte ihn vor dem sicheren Tod. Was für ein Lebensschicksal, was für eine Vision für eine packende Oper! Leider griff bis dato niemand das Thema auf, und Weinberg selbst suchte sich für seine Oper „Der Idiot“ (Libretto: Alexander Medwedew) den Roman von Fjodor Dostojewski aus. Eine gute Wahl?

Bereits nach einer halben Stunde in der österreichischen Erstaufführung durch das MusikTheater an der Wien steigen beim Zuschauer Zweifel auf. Zahnlos wirkt der Plot rund um den „reinen Toren“ Fürst Myschkin, der, geheilt von seiner Epilepsie, aus der Schweiz nach Russland zurückkehrt. Als er das Porträt der Prostituierten Nastassja erspäht, ist es um ihn geschehen und nicht nur, dass er sich in sie verliebt, er möchte die „Gefallene“ auch retten. In die Bürgertochter Aglaja verliebt er sich auch noch, taucht also zwischen den Damen und seinem Nebenbuhler Rogoschin in ein Wechselbad der Gefühle. Endlose Dialoge und Monologe weiter stirbt Nastassja durch das Messer Rogoschins. Niemand wurde erlöst oder gerettet, das Ende kommt einfach blutig daher.

Nun sollte es in einer Oper in erster Linie um Musik gehen. Mieczysław Weinberg war eng mit Dmitri Schostakowitsch befreundet. Einflüsse des tongewaltigen Förderers kann er nicht verleugnen. Im Gegenteil, man wünscht sich mehr von diesen aufwühlenden Tonwogen, die leider nur selten rollen. Übrig bleiben sich kräuselnde Wellen, die zäh dahin mäandern und ermüden. An der Langeweile des Publikums Schuld tragen sicherlich nicht die Sänger und schon gar nicht das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung des ausgewiesenen Weinberg-Spezialisten Thomas Sanderling. Der Tenor Dmitry Golovnin (Myschkin) führt die ausgezeichnete Sänger-Riege an, die ukrainische Sopranistin Ekaterina Sannikova (Nastassja) weiß zu verführen, der russische Bassbariton Dmitry Cheblykov (Rogoschin) lässt die dunklen Töne wohlig rollen, herausragend meistern den Abend auch Petr Sokolov (Lebedjew) und Ieva Prudnikovaité (Aglaja).

Regisseur Vasily Barkhatov bemüht sich redlich, in den zähen Stoff Dynamik zu bringen. Ein Zugwaggon ist der Mittelpunkt der Bühne. Jede Szene beginnt mehr oder weniger gleich: Rogoschin spielt mit dem Messer, Myschkin fällt ein Kartenspiel zu Boden, Kinder spielen Ball. Täglich grüßt das Murmeltier. Dann geht die Reise weiter, aber nicht schnell genug. Die Protagonisten kleben fest, und weder das Libretto noch die Musik vermögen es, die Zuschauer mitzunehmen auf diese Reise durch die depressive Gefühlswelt. Nach dreieinhalb Stunden folgt ein höflicher, aber intensiver Applaus.

Susanne Dressler

„Идиот“ („Der Idiot“) (entstanden 1986-89; Uraufführung 1991/2013) // Oper von Mieczysław Weinberg

Endzeitstimmung in Walhall

Neapel / Teatro di San Carlo (April 2023)
Wagners „Walküre“ im zersprungenen Bilderrahmen

Neapel / Teatro di San Carlo (April 2023)
Wagners „Walküre“ im zersprungenen Bilderrahmen

Im nach einer kürzlichen Renovierung wie neu erstrahlenden, wunderschönen Teatro di San Carlo holt man eine ansehnliche „Walküre“ von Richard Wagner aus dem Archiv, und zwar die Inszenierung von Federico Tiezzi aus dem Jahr 2005. Er zählt mit seinen szenischen Arbeiten zu den führenden Exponenten der italienischen Neo-Avantgarde und unterstreicht das mit der Wahl von Giulio Paolini als einem auf geometrische und architektonische Formen setzenden Bühnenbildner. Giovanna Buzzi schuf die äußerst geschmackvollen Kostüme aus der Entstehungszeit des Stücks.

Es geht Tiezzi vor allem darum, mit den Bildern von Paolini große Harmonie zwischen Wagners Musik und der Szene herzustellen, wobei die Personenregie allerdings bisweilen etwas zu kurz kommt. Drei unterschiedliche Bühnenbilder, in vornehmlich dezenten Pastelltönen, basieren auf einem schlichten neunzellig-kubischen Stangengerüst. Zu Beginn ist darin eine hölzerne stilisierte Weltesche zu sehen, mit dem Schwert durch die zersprungene Glasplatte eines goldenen Bilderrahmens im Stamm. Im zweiten Aufzug finden sich großen Meteoriten im Kubus, als sei Wotans Walhall aus dem All damit bombardiert worden. Bei den Walküren im dritten Aufzug, die sich auch an einer Heldenleiche anatomisch betätigen, dominieren wieder die goldenen Bilderrahmen mit Torsi und anderen Körperteilen griechischer und römischer Krieger.

Warum diese Bilderrahmen? Tiezzi sieht die „Walküre“ als ein bourgeoises Endzeit-Familiendrama à la „Buddenbrooks“, das seinem Untergang entgegengeht. Das vermag er insbesondere in der Figur des Wotan im zweiten Aufzug in dieser Bildästhetik nachvollziehbar darzustellen. Er könnte auch ein Alfred Krupp mit seinem Industrie-Imperium sein. Dazu passen die goldenen Bilderrahmen als Metapher für den entsprechenden Reichtum. Tiezzi sieht in Wotan aber nicht nur Bezüge zu Thomas Mann, sondern auch Shakespeare’sche Implikationen eines Mannes voller Zweifel wie Hamlet oder Richard II. In seinem Regiekonzept spielt sich die Handlung vor allem im Kopf der Akteure ab, was in manchen Szenen wie ein artifizielles Zurückhalten individueller Emotionen wirkt. Das gilt sogar für die Passion Siegmunds und Sieglindes, die fast wie in Trance agieren.

Jonas Kaufmann weiß dieses Konzept eindrucksvoll umzusetzen, zumal es zur Figur des Siegmund passt. Sein angedunkelter kerniger Tenor ist Garant für eine äußerst einnehmende Rollengestaltung. Christopher Maltman debütiert als Wotan mit großer vokaler und darstellerischer Performance, ganz die zentrale Rolle der Figur in dieser Inszenierung verkörpernd. Okka von der Damerau ist eine stimmlich kraftvolle Brünnhilde, bisweilen mit einer leichten Grellheit in den Spitzentönen. Vida Miknevičiūtė gibt eine exzellente Sieglinde, die hervorragend zu Kaufmann passt, und Varduhi Abrahamyan eine nachdrückliche Fricka. John Relyea besticht durch seinen klangvollen Bass und das Walküren-Oktett ist durchwegs bestens besetzt. Dan Ettinger dirigiert mit viel Verve das Orchestra del Teatro di San Carlo, welches seinen Vorgaben eindrucksvoll folgt.

Dr. Klaus Billand

„Die Walküre“ (1870) // Erster Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner

Bunt-blumiges Spektakel

Leipzig / Oper Leipzig (April 2023)
Die Musikalische Komödie überzeugt mit Kálmáns „Veilchen vom Montmartre“

Leipzig / Oper Leipzig (April 2023)
Die Musikalische Komödie überzeugt mit Kálmáns „Veilchen vom Montmartre“

Als derzeit einziges Theater bringt die Musikalische Komödie Emmerich Kálmáns Operette „Das Veilchen vom Montmartre“ (vor ausverkauftem Haus). Die Handlung ist schnell erzählt: Drei erfolglose Künstler leben in ärmlichen Verhältnissen zusammen. Sie opfern ihr letztes Geld, um das Mädchen Violetta, genannt Veilchen, aus den Fängen ihres Vormunds zu befreien. Plötzlich wendet sich das Blatt und Violetta entpuppt sich als entführte Komtesse.

Szenisch setzt die Handlung in Form eines alten Films ein, mit allmählicher Titeleinblendung. Die Bühne (Leif-Erik Heine) besteht aus Versatzstücken aus Paris und vom Montmartre, so aus einem großen Aktportrait von Ninon, zwei Treppen, mehreren Häuserfronten, einem Fliederbaum sowie verschiedenen Street-Art-Kunstwerken des Malers Raoul, die alle Ninons Antlitz zeigen. Der zweite Akt entpuppt sich als revuehaft mit großer Showtreppe, der dritte spielt im Theatre Vaudeville mit rotem Vorhang und goldenen Statuen.

Beeindruckend sind die stimmlich-schauspielerischen Leistungen der Mitwirkenden. Besonders hervorstechend Adam Sanchez als bekleckster Maler Raoul Delacroix mit schmelzend-strahlendem Tenor – auch darstellerisch und bildlich die perfekte Verkörperung der Partie. Dies gilt ebenso für das Zweigespann Christina Maria Fercher und Mirjam Neururer als Violetta. Da Neururer unpässlich ist, spielt sie ihre Rolle und spricht die Dialoge, wird aber in allen Gesangspartien von Fercher von der Seitenbühne gesanglich vertreten. Die an der Staatsoperette Dresden engagierte Sopranistin bezaubert mit einer operettenhaft leichten, beschwingt-hellen Stimme und flüssig-fließenden Koloraturen, was auch vom Publikum begeistert honoriert wird. Mirjam Neururer spielt in lila Strickpullover und Zipfelrock gekonnt ein naives, einfaches, aber herzensgutes Mädchen. Als Burlesque-Tänzerin Ninon fasziniert Olena Tokar mit langen blonden Haaren und scheinbar nackt, später im spektakulären Zeitungskleid und elegant als Ministergattin. Sie überzeugt mit dunklerem Timbre, großem Volumen, wenn auch bei undeutlicher Diktion. Justus Seeger als Henry Murger und Andreas Rainer als Florimond Hervé bestechen in jeder Hinsicht. Humorvoll affektiert Milko Milev als Pisquatschec im Nadelstreifenanzug und mit Aktentasche. Michael Raschle als Vormund Parigi, in heruntergekommener Kleidung und mit langem Bart, fehlt leider teilweise das Stimmvolumen.

Faszinierend die ansprechenden, humorvollen Choreografien (Kati Heidebrecht) von Chor und Ballett sowie des Ensembles. Beschwingt, leicht und stark rhythmisch unter Bigband-Anklängen interpretiert Tobias Engeli die Partitur gemeinsam mit dem Orchester der Musikalischen Komödie. Einschlagende Witze sind u.a. das genderhafte „Kolleg*innen“ und die sich ungewollt auflösende Frisur eines Tänzers, was das Publikum in Ekstase bringt. Leif-Erik Heines Blumenkostüme des dritten Aktes sorgen in ihrer Farbigkeit für gute Laune und ein bunt-blumiges Spektakel. Eine überzeugende Inszenierung von Ulrich Wiggers, die sich nach der Pause steigert und spannungsgeladener als der blasse erste Akt, mitreißend und beschwingt vorüberrauscht.

Dr. Claudia Behn

„Das Veilchen vom Montmartre“ (1930) // Operette von Emmerich Kálmán