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Rezensionen 2023/04

Von der Psychologie des Krieges

München / Bayerische Staatsoper (Mai 2023)
Die neue »AIDA« aus der Sicht der Leidenden

München / Bayerische Staatsoper (Mai 2023)
Die neue »AIDA« aus der Sicht der Leidenden

Statt goldener Elefanten paradieren Kriegsversehrte zum Triumphmarsch – erschreckend stimmig zur Musik und mit vorherrschender Botschaft: Krieg ist furchtbar, egal wo. In diesem Setting eines im Kostümbild von Carla Teti angedeuteten östlichen Regimes manifestiert Regisseur Damiano Michieletto Verdis Festmusiken gekonnt zu brutalen Stilmitteln musikalischer Kriegspropaganda. In bläulich-kalt ausgeleuchteten, nicht klar definierten Phantasieräumen (Bühne: Paolo Fantin) – zerbombte Wohnungen, Notunterkünfte – rieselt mehr und mehr Asche aus großen (Einschlag-?)Löchern von der Decke. Nach der Pause dominiert ein riesiger Ascheberg beinahe vollständig die Bühne und hat alles unter sich begraben.

Und in diesem Ansatz liegt auch die große Stärke seiner dystopischen Umdeutung: Michieletto nutzt die kammermusikalische Werksanlage und erzählt die Geschichte ohne jeden Pomp, vor dem Hintergrund einer morbiden Kriegsgeschichte und aus der persönlichen Sicht der Leidenden: Held liebt die falsche Frau, die strategisch passendere Rivalin wird nicht erhört, der Held zum Verräter degradiert und am Ende glücklich im gemeinsamen Tod mit der unselig Geliebten. Dabei weichen gängige goldene Ägypten-Klischees der dystopisch-pazifistischen Deutung, etwa wenn parallel zur Huldigung als Kriegsheld eine zweite Video-Handlungsebene Radamès’ psychisches Kriegstrauma thematisiert. Dass erzählerisch nicht immer alles in Gänze aufgeht und am Ende beim Tod in der Gruft etwas zu viel „Luftballon-Idylle“ herrscht, ist nicht weiter schlimm. Erschreckend offensichtlich fügen sich Triumph und Zerstörung sogar musikalisch stimmig ineinander – den einen oder anderen schaurigen Gänsehautmoment inklusive.

Die Schwächen dieser Produktion stecken leider ausgerechnet im wenig homogenen Solistenensemble: Brian Jagde singt den Radamès durchgehend laut, unsensibel und ohne emotional erkennbarem Bezug zur Angebeteten – seine hohen Töne sind manchmal wirklich zu viel des Guten. George Petean als Amonasro klingt im Gegensatz dazu oft harmlos und kommt stellenweise gar nicht über das sehr deftig aufspielende Bayerische Staatsorchester unter Daniele Rustioni. Anita Rachvelishvilis Amneris kämpft sich mehr durch die Partie, als dass sie diese stimmlich gestaltet, die Aida der zu Beginn etwas nervösen Elena Stikhina könnte eine sensible, berührende sein – wenn ihre feinfühlige und innige Interpretation nicht von den Kollegen über den Haufen gesungen würde. Dass sie in ihrer körperlichen Präsenz samt (gewollt) unscheinbarem Kostüm nicht gegen die (übrigens sehr unvorteilhaft gekleidete) Rivalin ankommt, macht es auch nicht besser. Trotzdem mit Abstand die beste sängerische Leistung des Abends. Positiv und bühnenpräsent auch Alexandros Stavrakakis als König, stimmschön Alexander Köpeczi als Ramfis. Ausgesprochen beeindruckend und spannungsgeladen gestaltet der Chor (Einstudierung: Johannes Knecht) die Pianissimi, die selbst von der Hinterbühne aus eine sehr ergreifende Wirkung entfalten.

Iris Steiner

»Aida« (1871) // Oper von Giuseppe Verdi

Infos und Termine auf der Website der Bayerischen Staatsoper

Endzeitstimmung in Walhall

Neapel / Teatro di San Carlo (April 2023)
Wagners „Walküre“ im zersprungenen Bilderrahmen

Neapel / Teatro di San Carlo (April 2023)
Wagners „Walküre“ im zersprungenen Bilderrahmen

Im nach einer kürzlichen Renovierung wie neu erstrahlenden, wunderschönen Teatro di San Carlo holt man eine ansehnliche „Walküre“ von Richard Wagner aus dem Archiv, und zwar die Inszenierung von Federico Tiezzi aus dem Jahr 2005. Er zählt mit seinen szenischen Arbeiten zu den führenden Exponenten der italienischen Neo-Avantgarde und unterstreicht das mit der Wahl von Giulio Paolini als einem auf geometrische und architektonische Formen setzenden Bühnenbildner. Giovanna Buzzi schuf die äußerst geschmackvollen Kostüme aus der Entstehungszeit des Stücks.

Es geht Tiezzi vor allem darum, mit den Bildern von Paolini große Harmonie zwischen Wagners Musik und der Szene herzustellen, wobei die Personenregie allerdings bisweilen etwas zu kurz kommt. Drei unterschiedliche Bühnenbilder, in vornehmlich dezenten Pastelltönen, basieren auf einem schlichten neunzellig-kubischen Stangengerüst. Zu Beginn ist darin eine hölzerne stilisierte Weltesche zu sehen, mit dem Schwert durch die zersprungene Glasplatte eines goldenen Bilderrahmens im Stamm. Im zweiten Aufzug finden sich großen Meteoriten im Kubus, als sei Wotans Walhall aus dem All damit bombardiert worden. Bei den Walküren im dritten Aufzug, die sich auch an einer Heldenleiche anatomisch betätigen, dominieren wieder die goldenen Bilderrahmen mit Torsi und anderen Körperteilen griechischer und römischer Krieger.

Warum diese Bilderrahmen? Tiezzi sieht die „Walküre“ als ein bourgeoises Endzeit-Familiendrama à la „Buddenbrooks“, das seinem Untergang entgegengeht. Das vermag er insbesondere in der Figur des Wotan im zweiten Aufzug in dieser Bildästhetik nachvollziehbar darzustellen. Er könnte auch ein Alfred Krupp mit seinem Industrie-Imperium sein. Dazu passen die goldenen Bilderrahmen als Metapher für den entsprechenden Reichtum. Tiezzi sieht in Wotan aber nicht nur Bezüge zu Thomas Mann, sondern auch Shakespeare’sche Implikationen eines Mannes voller Zweifel wie Hamlet oder Richard II. In seinem Regiekonzept spielt sich die Handlung vor allem im Kopf der Akteure ab, was in manchen Szenen wie ein artifizielles Zurückhalten individueller Emotionen wirkt. Das gilt sogar für die Passion Siegmunds und Sieglindes, die fast wie in Trance agieren.

Jonas Kaufmann weiß dieses Konzept eindrucksvoll umzusetzen, zumal es zur Figur des Siegmund passt. Sein angedunkelter kerniger Tenor ist Garant für eine äußerst einnehmende Rollengestaltung. Christopher Maltman debütiert als Wotan mit großer vokaler und darstellerischer Performance, ganz die zentrale Rolle der Figur in dieser Inszenierung verkörpernd. Okka von der Damerau ist eine stimmlich kraftvolle Brünnhilde, bisweilen mit einer leichten Grellheit in den Spitzentönen. Vida Miknevičiūtė gibt eine exzellente Sieglinde, die hervorragend zu Kaufmann passt, und Varduhi Abrahamyan eine nachdrückliche Fricka. John Relyea besticht durch seinen klangvollen Bass und das Walküren-Oktett ist durchwegs bestens besetzt. Dan Ettinger dirigiert mit viel Verve das Orchestra del Teatro di San Carlo, welches seinen Vorgaben eindrucksvoll folgt.

Dr. Klaus Billand

„Die Walküre“ (1870) // Erster Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner