Lorin Maazels Literaturoper „1984“, basierend auf dem Jahrhundertroman von George Orwell, auf den Spielplan zu setzen ist ein Wagnis. Nicht nur, weil das Werk bei seiner Uraufführung denkbar negativ rezensiert wurde, sondern auch, weil die Partitur so ausladend ist, so reich instrumentiert, dass ohnehin nur die größten Häuser sich daran versuchen können. London hat sich getraut, Mailand, Valencia. Und nun, nach über einem Jahrzehnt ohne eine Aufführung, Regensburg.

Inszeniert hat „1984“ Intendant Sebastian Ritschel selbst, der im Vorgespräch zur Inszenierung sagt, das Werk müsse heute neu gedacht werden. Das passiert in seiner Inszenierung allerdings nicht. Zwischen Gerüsten und Bildschirmen spielt sich eine konventionelle Operninszenierung ab. Stellenweise wird das Bühnengeschehen sogar langweilig, etwa in den langen Duetten mit Winston und Julia, in denen fast nichts passiert – ob das nun an Ritschels Inszenierung oder an der nicht optimalen Dramaturgie der Oper liegt, lässt sich schwer sagen. Überwiegend aber gelingt es der Regie, eine fesselnde Geschichte zu erzählen. Besonders die Massenszenen mit uniform gekleidetem Chor wirken. Die Aufführung ist nur eben kein brennend aktuelles, aufrüttelndes „1984“, sondern eine solide Literaturoper.

Natürlich wird in Regensburg nicht die Originalfassung der Oper gegeben – so groß ist der Orchestergraben des werdenden Staatstheaters nicht – sondern eine reduzierte Fassung von Norbert Biermann. Das Ergebnis begeistert sogar Dietlinde Turban Maazel, die Witwe des Komponisten. Sowieso vollbringt das Philharmonische Orchester Regensburg unter der Leitung von Tom Woods an diesem Abend Höchstleistungen. Von der Hymne Ozeaniens über jazzige Kaffeehausmusik bis hin zur intensiven Folterszene gelingen die verschiedenen Facetten des Werks höchst eindrucksvoll.

Auch das Sängerensemble ist äußerst souverän. Jan Żądło glänzt mit donnernder, aber doch immer verletzlicher Baritonstimme als Protagonist Winston Smith, an seiner Seite gibt Theodora Varga eine ausdrucksstarke Julia. Den O’Brien singt Anthony Webb. Seine lyrische, fast süße Tenorstimme klingt erst einmal gar nicht nach Bösewicht, passt aber deswegen umso besser zum schmeichlerischen Staatsdiener. Kirsten Labonte begeistert gleichermaßen als Gym Instructress und Drunken Woman, Jonas Atwood imponiert als Parsons, Carlos Moreno Pelizari singt souverän den Syme. Der Opernchor, einstudiert von Alistair Lilley, hat mit dem englischsprachigen Text zu kämpfen (ein paar Worte werden vernuschelt), ist aber im Großen und Ganzen überzeugend. Besonders bejubelt werden die jungen Sängerinnen und Sänger des Cantemus Chors, einstudiert von Matthias Schlier.

Beim Publikum kommt der Abend gut an. Die Premiere ist gut besucht, besonders junge Zuschauer unter 30 Jahren sind erfreulich zahlreich vertreten. Am Ende werden die Künstlerinnen und Künstler mit kräftigem Applaus belohnt. Das gewagte Experiment, „1984“ auf den Spielplan zu setzen, gelingt.

Adele Bernhard

„1984“ (2005) // Oper von Lorin Maazel in einer Fassung für mittelgroßes Orchester bearbeitet von Norbert Biermann

Infos und Termine auf der Website des Theaters Regensburg