Es ist wohl eine der letzten Bühnenpartien des fast 80-jährigen Plácido Domingo und der 20-minütige Schlussapplaus kann sicher als Hommage an eine große Lebensleistung gedeutet werden. Höchstverdient aber auch für diesen Abend: Man staunt nicht schlecht, wie präsent, agil und ausdrucksstark er die große Titelpartie meistert. Die Inszenierung von Peter Stein aus dem Jahre 2002 lässt im Gegensatz dazu einige Fragen offen, sie schwankt zwischen abstrakter Gestaltung mit Lichtdesign-Elementen und realistisch anmutenden Settings ohne erkennbare Linie. Zu viele Szenen vor halbgeschlossenem Vorhang wirken uninspiriert. Etwas, das sich leider bei der Personenführung fortsetzt und für die Solistenriege größtenteils „stehend an der Rampe singen“ bedeutet. Was für ein Glück, dass begabte Sängerdarsteller wie Günther Groissböck (in der Rolle des Fiesco) es trotzdem schaffen, ihren Figuren Leben einzuhauchen. Die Kampfszenen des Chores wirken dagegen gestellt und – obwohl komplett Corona-abstandsfrei inszeniert – darstellerisch wenig überzeugend. Vielleicht hatte die Produktion im Vorfeld aber einfach nur zu wenig Proben, denn auch musikalisch hat Evelino Pidò seine liebe Mühe damit, Orchester, Chor und Solisten zusammenzuhalten und dauerhaft die richtige Klangbalance zwischen Bühne und Graben zu finden. Dass dieser Opernabend doch noch ein denkwürdiger wird, liegt eindeutig an überzeugenden Gesangsleistungen, neben Domingo vor allem die von Günther Groissböck, dessen gewaltige Bass-Präsenz von warmem Timbre und Ausdruck der Geschichte jene Intensität verleiht, die man in der Regie vermisst. Herausragend und intensiv das Versöhnungsduett im dritten Akt. Von Domingos bewundernswerter Darstellung eines in die Jahre gekommenen Boccanegra war schon oben die Rede – lediglich zum Ende beim direkten Aufeinandertreffen der beiden wird es etwas grotesk. Immerhin verkörpert hier der im richtigen Leben halb so alte Groissböck den Großvater von Boccanegras Tochter Amelia! Trotzdem, auch das funktioniert, vor allem, weil beide fabelhafte Darsteller sind, Domingo „seinem“ Simon schlüssige Präsenz verleiht und mit großer Erfahrung vorhandene Textschwächen durch überragende Rollenpräsenz sowie dem unverwechselbaren Timbre seiner Weltstimme gekonnt ausmerzt. Hut ab vor dieser erstaunlichen Leistung! Hibla Gerzmava als Amelia kämpft anfänglich mit leichten Intonationsproblemen und schrillem Timbre, bekommt ihre voluminöse Stimme im Laufe des Abends aber noch in den Griff. Der usbekische Tenor Najmiddin Mavlyanov besitzt einen kraftvollen Tenor, wirkt mit der Partie des Gabriele Adorno zuweilen aber überfordert und quetscht ein wenig in den Höhen. Darstellerische Akzente vermisst man bei ihm leider völlig. Erwähnenswert: Attila Mokus als Paolo. Alles in allem ein denkwürdiger, berührender Abend, sicher eine Reminiszenz an eine musikalische Legende.

Iris Steiner

„Simon Boccanegra“ (1857/1881) // Giuseppe Verdi