„Gefährliche Liebschaften“, der Briefroman Laclos’ von 1782, veranlasste Heiner Müller 200 Jahre später zu seinem Schauspiel „Quartett“. Francesconi machte daraus die gleichnamige Oper und verfasste das Libretto ursprünglich in Englisch. Nun wurde das Werk erstmals in deutscher Sprache aufgeführt.

Marquise de Merteuil und Vicomte de Valmont, früher ein Liebespaar, sind in Verachtung einander zugetan. Verletzungen, offene Rechnungen, ein Wettkampf der Boshaftigkeiten, Ironie zum Altwerden (Vermont: „Auf Sie ist zu lange kein Regen gefallen“). Dekadenz, Langeweile, verurteilt zum Nichtstun. Heiner Müller hat das Schauspiel zeitlich vor der Französischen Revolution oder nach dem Dritten Weltkrieg verortet, also hilft kein Telefon, TV oder Klatsch auf der Terrasse des Golfclubs beim Zeit totschlagen, stattdessen verbaler Krieg. Valmont beschläft die von Merteuil gehasste Madame de Tourvel, Gattin des Präsidenten, der seinerzeit die Marquise verschmähte. Der Vicomte solle besser ihre Nichte Volanges verführen. Im Spiel tauschen sie die Geschlechter. Er: „Ich glaube, ich könnte mich daran gewöhnen, eine Frau zu sein.“ Sie: „Ich wollte, ich könnte es!“

Die jugendliche Mojca Erdmann entspricht rein optisch keineswegs einer faltig alternden Marquise, meistert allerdings die schwierige Partie mit Sprechgesang und Ausbrüchen in irrsinnige Höhen beeindruckend. An ihrer Seite überzeugt Thomas Oliemans mit warm-markantem Bariton. Im Rollenspiel mit umgeschnallten Brüsten – naja – aber im Sterben sehr schön. Bewundernswert, was die beiden auf der Bühne leisten, es gilt unendliche Dialoge zu beherrschen und dabei jenseits gewohnter Linien zu singen.

Barbara Wysocka (Regie) und Barabara Hanicka (Bühnenbild) stellen eine löchrige Halbkugel (Dritter Weltkrieg?) auf die Bühne, die gedreht zu einem Iglu-artigen Spielraum mit wenigen Requisiten wird, Stühle, Koffer, Bücher, die in Kartons verstaut werden. Eine Tänzerin (Tourvel) und Statistin (Volanges) beleben sporadisch die Szene, sie lassen das Duett zum Quartett werden. Spiegelboden, Videoprojektionen, schwarze Vögel den Tod Valmonts begleitend (der Wein war vergiftet!), produzieren in schickem Grau gehalten schöne Bilder zum hässlichen Geschehen.

Dazu passt die Interpretation Daniel Barenboims, die man sich expressiver und mit weniger Wohlklang vorstellen könnte. Das Instrumentalensemble im Graben spielt makellos, es wird ergänzt von zugespielten elektronischen Geräuschen und Chor. Die kammermusikalische Komposition selbst beginnt spannend, zieht sich dann aber hin, ohne große Spannungsbögen zu entwickeln. Markante Tonfolgen und Instrumenten-Soli lassen den Zuschauer zum Zuhörer werden, der konzentriert der Textprojektion folgt – folgen muss, um im Stück zu bleiben. Eine durchaus sehenswerte Aufführung, auch wenn sie musikalisch nicht gerade einen Sog entfaltet.

Reinhard Eschenbach

„Quartett“ (2011) // Luca Francesconi