Sein Leben wäre der ideale Stoff für ein Opernlibretto. Der beinahe in Vergessenheit geratene Komponist Mieczysław Weinberg (1919-1996) konnte auf ein schicksalsbewegtes Leben zurückblicken. Als Jude in Polen geboren, musste er 1939 vor den Nationalsozialisten fliehen. Russland war sein nächstes Ziel, weil er dort noch Verwandte hatte. Viele andere seiner Familie wurden Opfer von Hitlers Terrorregime. Weinberg geriet in die Fänge von Stalin, landete im Arbeitslager, und nur der Tod des Diktators bewahrte ihn vor dem sicheren Tod. Was für ein Lebensschicksal, was für eine Vision für eine packende Oper! Leider griff bis dato niemand das Thema auf, und Weinberg selbst suchte sich für seine Oper „Der Idiot“ (Libretto: Alexander Medwedew) den Roman von Fjodor Dostojewski aus. Eine gute Wahl?

Bereits nach einer halben Stunde in der österreichischen Erstaufführung durch das MusikTheater an der Wien steigen beim Zuschauer Zweifel auf. Zahnlos wirkt der Plot rund um den „reinen Toren“ Fürst Myschkin, der, geheilt von seiner Epilepsie, aus der Schweiz nach Russland zurückkehrt. Als er das Porträt der Prostituierten Nastassja erspäht, ist es um ihn geschehen und nicht nur, dass er sich in sie verliebt, er möchte die „Gefallene“ auch retten. In die Bürgertochter Aglaja verliebt er sich auch noch, taucht also zwischen den Damen und seinem Nebenbuhler Rogoschin in ein Wechselbad der Gefühle. Endlose Dialoge und Monologe weiter stirbt Nastassja durch das Messer Rogoschins. Niemand wurde erlöst oder gerettet, das Ende kommt einfach blutig daher.

Nun sollte es in einer Oper in erster Linie um Musik gehen. Mieczysław Weinberg war eng mit Dmitri Schostakowitsch befreundet. Einflüsse des tongewaltigen Förderers kann er nicht verleugnen. Im Gegenteil, man wünscht sich mehr von diesen aufwühlenden Tonwogen, die leider nur selten rollen. Übrig bleiben sich kräuselnde Wellen, die zäh dahin mäandern und ermüden. An der Langeweile des Publikums Schuld tragen sicherlich nicht die Sänger und schon gar nicht das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung des ausgewiesenen Weinberg-Spezialisten Thomas Sanderling. Der Tenor Dmitry Golovnin (Myschkin) führt die ausgezeichnete Sänger-Riege an, die ukrainische Sopranistin Ekaterina Sannikova (Nastassja) weiß zu verführen, der russische Bassbariton Dmitry Cheblykov (Rogoschin) lässt die dunklen Töne wohlig rollen, herausragend meistern den Abend auch Petr Sokolov (Lebedjew) und Ieva Prudnikovaité (Aglaja).

Regisseur Vasily Barkhatov bemüht sich redlich, in den zähen Stoff Dynamik zu bringen. Ein Zugwaggon ist der Mittelpunkt der Bühne. Jede Szene beginnt mehr oder weniger gleich: Rogoschin spielt mit dem Messer, Myschkin fällt ein Kartenspiel zu Boden, Kinder spielen Ball. Täglich grüßt das Murmeltier. Dann geht die Reise weiter, aber nicht schnell genug. Die Protagonisten kleben fest, und weder das Libretto noch die Musik vermögen es, die Zuschauer mitzunehmen auf diese Reise durch die depressive Gefühlswelt. Nach dreieinhalb Stunden folgt ein höflicher, aber intensiver Applaus.

Susanne Dressler

„Идиот“ („Der Idiot“) (entstanden 1986-89; Uraufführung 1991/2013) // Oper von Mieczysław Weinberg