Es ist eine Uraufführung mit 92 Jahren Verspätung: „Grete Minde“ von Eugen Engel. Die Geschichte basiert auf der Fontane-Novelle über den Tangermünde Stadtbrand von 1617. Die historische Grete wurde dafür als Brandstifterin verurteilt und hingerichtet. Hier ist sie es, die sich zur Richterin aufschwingt. Durch ihren Selbstmord in den Flammen reißt sie die ganze Stadt mit in den Abgrund. Ein Akt des Aufbegehrens und der Rache an einer Gesellschaft, in der sie ihr Recht nicht bekam. Grete hatte sich mit ihrem Liebsten Valtin einer fahrenden Truppe von Puppenspielern angeschlossen, um der Enge ihrer Heimat zu entfliehen. Bei Stiefbruder Gerdt und dessen bigotter Frau Trud wurde sie als Tochter einer Katholikin verachtet und schikaniert. Nach Valtins frühem Tod verweigern sie ihr Obdach und Erbe …

Der 1875 geborene deutsch-jüdische Kaufmann und komponierende Autodidakt Engel fiel 1943 im Vernichtungslager Sobibor dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer. Sein Librettist Hans Bodenstedt (1887-1958) stieg nach 1933 bei NS-Verlagen ein und machte sich nach dem Krieg in Westdeutschland einen Namen als Rundfunkpionier. Zwei deutsche Biografien.

Im Falle Engel sorgt Magdeburg jetzt für den überfälligen musikalischen Stolperstein. Das Hauptverdienst kommt dabei GMD Anna Skryleva zu. Sie verliebte sich 2019 in die von Engels Tochter gerettete Partitur und erweckt die Musik, die ohne Moderne-Ehrgeiz auskommt und von gekonnten (Rück-)Blicken auf Wagner, Richard Strauss und die Spätromantik profitiert, zum Leben.

Bei den Interpreten der durchweg gut singbaren Rollen ragen vor allem die mühelos schlank dramatische Raffaela Lintl (Grete) und Tenor Zoltán Nyári (Valtin) heraus. Aber auch Kristi Anna Isene und Marko Pantelić als Trud und Gredt Minde liefern tadellose Rollenporträts ab. Aus der Puppenspielertruppe ist Benjamin Lee als Hanswurst zu nennen. Martin Wagner hat den Opernchor präzise auf seinen umfangreichen Part vorbereitet.

Leider bleiben Olivia Fuchs (Regie) und Nicola Turner (Ausstattung) hinter den Möglichkeiten zurück, die eine offenkundig beabsichtige Überblendung der Zeitebenen ermöglichen würde. Die kargen Wände der Einheitsbühne werden Projektionsflächen für Landschaften oder züngelnde Flammen. Die Kostüme der Puppenspieler kommen 1617 am nächsten. Die Bürger, die Grete bei ihrer Rückkehr als Witwe jede Hilfe verweigern, liefern eine Mischung aus Fontanes Zeit und den 1940er Jahren. Wirklich verknüpft miteinander ist das nicht. Ein paar in der Bühnenmitte platzierte Koffer als Verweis auf die Shoah bleiben so Behauptung. Die Vorlage würde wohl auch einen beherzteren szenischen Zugriff vertragen.

Dr. Joachim Lange

„Grete Minde“ (entstanden um 1930; Uraufführung 2022 posthum) // Oper von Eugen Engel

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