Zu Wagners ohnehin vielschichtigen „Meistersingern von Nürnberg“ kommt noch die Inszenierung von Johannes Erath hinzu: Ein schwarzer Bühnenraum voller Zahlen und Formeln – eventuell Beckmessers Versuch der Bändigung aller Welt. Kreisende abstrakte Halbrunde, von schwarzgesichtigen Geistern in Frack und Zylinder herein- und herausgeschobene Wohnräumwände für Sachs und Beckmesser. Befremdlich bunte Meisteranzüge, darüber mal Frackteile und Zylinder, alle auf von den Lehrbuben herumgeschobenen Hochstühlen. Eva von Anbeginn im weißen Brautkleid, Walther im weißen Sommeranzug, die Lehrbuben im Schülerdress mit Käppi. Beckmessers Ständchen mit herabfahrenden „Blauer Engel“-Frauenbeinen, nachdem zuvor Dürers „Betende Hände“ zu sehen waren. Eine Halbvergewaltigung von Eva durch die Meisterriege am Ende der Prügelszene, nach der eine Kind-Eva als Opfer zurückbleibt, welche auch in Sachs’ Erinnerung auftaucht. Die Festwiese als bühnenfüllender Aufmarsch von allen Popgrößen des 20. Jahrhunderts in ihrem jeweils schrillsten Outfit – bis hin zu Pavarotti, während Sachs vorne auf einer Matratze liegt. Dem Regieteam um Erath ist nur eine weitgehende Verkomplizierung und ein problematischer Komplex-Anriss von Sachs mit Kind-Eva „gelungen“: verquaster Aufwand, ein Regie-Egotrip.

Aber: eine Besetzungsliste zum Staunen. Bis auf einen Meister nur Rollendebütanten, gastierend vor allem Magdalena Hinterdobler, Bariton Michael Nagy als Rückkehrer an sein ehemaliges Stammhaus – und ansonsten eine komplette Hausbesetzung mit staunenswerten Qualitäten. AJ Glueckert etwa ist über seine Frankfurter Jahre so gereift, dass er den seine künftige Rolle suchenden „Junker Walther“ als rotzigen Sonnyboy mit Händen in den Hosentaschen singt: mit einem mühelosen „Preislied“ am Ende, das keinen Vergleich zu scheuen braucht. Die als Geheimtipp gehandelte Magdalena Hinterdobler ist eine schon frauliche Eva, doch voller Sopran-Sonnenschein über allen übrigen Stimmen. Aus denen scheint der Beckmesser von Michael Nagy rollengerecht herausragen zu wollen. Einen kapitalen Sachs im Ensemble zu haben, belegt abermals die vokal und menschlich überlegt kluge Hauspolitik: Zwar darf der voll-lockig rotblonde Nicholas Brownlee (Hans Sachs) unlogisch jung von „König Marke“ und seiner eigenen Altersweisheit singen, muss ein paarmal Wagners Text „neu dichten“, hält aber bis in seine lange Schlussansprache beeindruckend durch und ist mit seiner hochgewachsenen Bühnenerscheinung ein überzeugender Mittelpunkt. Obwohl da Bass Thomas Faulkner als Kothner nicht nur mit seiner „Tabulatur“ prunkt, sondern mit Andreas Bauer Kanabas als Pogner eine der schönsten Bass-Stimmen der derzeitigen Szene beeindruckt. Dazu tönt der von Tilman Michael einstudierte Hauschor aus dem schwarzen Halbrund festspielgemäß. Das setzt sich im Graben fort: Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester zeigt unter GMD Sebastian Weigle den Reichtum der Wagner-Partitur. Ein wenig Buh für das Regieteam, ansonsten Jubel für die Solisten – und hoffentlich ein Signal in den problematischen Frankfurter Kulturausschuss: contra Millionen-Kürzungen und abwegige Ideen von „Stagione“. Nur überragende Ensemblepolitik führt zu solchen Höhepunkten.

Dr. Wolf-Dieter Peter

„Die Meistersinger von Nürnberg“ (1868) // Oper von Richard Wagner

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