Kaum etwas ist über den Pharao verbrieft. Sein Glanz aber strahlt bis heute, mehr noch der seiner Gemahlin Nofretete. Vor 3.350 Jahren führte Echnaton den Monotheismus ein und platzierte seine Frau gleichberechtigt neben sich. Er gründete die neue Hauptstadt, dem singulären Gott Aton gewidmet. Die Nachwelt recycelte die alte Ordnung und tilgte die Erinnerung an den damals modernen Herrscher. Für Philip Glass ist Echnaton ein Meilenstein. Der amerikanische Komponist widmete ihm 1984 die dritte seiner Porträtopern nach „Einstein on the Beach“ und dem Mahatma Ghandi zugedachten Werk „Satyagraha“, die alle im Repertoire etabliert sind.

Ex-Intendant Barrie Kosky inszeniert „Echnaton“ („Akhnaten“) an der Komischen Oper Berlin ohne Firlefanz. Glass gestaltete im Team mit Shalom Goldman, Robert Israel, Richard Riddel und Jerome Robbins auch das Libretto mit ägyptischen, akkadischen, hebräischen, englischen und deutschen Vokabeln. Dabei streuten sie Geschehnisse jenseits der Evidenz ein, zum Beispiel den Sturm auf Echnatons Palast und seine Ermordung. Es gibt keine lineare Handlung, die Figuren bleiben konturlos. Kosky geht noch weiter. Er verzichtet auf Zeitbezüge oder pharaonisches Kolorit und wechselt konsequent ins Abstrakte. Klaus Grünberg schafft ihm auf der Drehbühne einen klinisch weißen Raum, der Requisiten überflüssig macht. Zahlreiche Lichteffekte illustrieren die Szenen. Optisch dominiert Schwarz-Weiß (Kostüme: Klaus Bruns), nur das Herrscherpaar trägt manchmal Farbe.

Kosky konzentriert sich präzise auf Stimmungen. Grandios gelingt ihm das in der martialischen Begräbniszeremonie für Amenophis III. Echnaton folgt ihm, krempelt die Theologie um, widmet sich Nofretete. Das Liebesduett der beiden markiert einen starken, innigen Moment, ebenso die brachiale Palast-Zerstörung samt Echnatons Tod. Der Mob stampft und fuchtelt. Manches wirkt ätherisch, dann wieder hysterisch. Der Regisseur bewegt mit choreografischem Gespür die Massen zwischen Schleichen und entfesselten Emotionen, oft scheinen es rituell konnotierte Gesten zu sein. Im Zentrum steht der Pharao, meist im Kleid als androgynes Wesen, von Countertenor John Holiday fulminant gesungen. Neben ihm bestechen vor allem Susan Zarrabi (Nofretete) und die Teje von Sarah Brady. Aus dem Off liefert der Chronist (Peter Renz) Hinweise zum Geschehen und agiert im Finale als Guide, der Touristen durch die Ruinen der zerstörten Hauptstadt Achet-Aton leitet.

Die Endlosschleifen von Glass’ Minimal Music liegen bei Jonathan Stockhammer und dem von ihm straff dirigierten Orchester der Komischen Oper in besten Händen. Die Klänge elektrisieren, betören und sorgen für fiebernde Spannung. Kosky schafft eine faszinierend artifizielle Ästhetik mit einem grandios motivierten Ensemble und nimmt mit Finesse die Popkultur-Spur auf. Dennoch dehnt sich der Abend am Ende etwas zäh auf drei Stunden, und die bedeutungsschwer verrätselten Bilderfluten verlieren ihre Intensität. Subtil gerafft, wäre dieser „Echnaton“ noch überzeugender. Das Publikum jubelt.

Jürgen Rickert

„Akhnaten“ („Echnaton“) (1984) // Oper von Philip Glass