Hannover / Staatsoper Hannover (März 2022) Ersan Mondtag macht Heinrich Marschners „Vampyr“ zur großen Show
Die Musik von Heinrich Marschners (1795-1861) „Vampyr“ klingt keineswegs fremd. Von heute aus betrachtet behauptet sie mit unbefangenem Selbstbewusstsein ihre Stellung zwischen „Freischütz“ und „Fliegendem Holländer“. Das gilt auch für viele der Handlungselemente. Es geht im Kern um einen Vampyr, der drei Jungfrauen beißen muss, damit seine Erdenfrist verlängert wird. Und doch ist das Stück als Ganzes ziemlich verquer. So ganz falsch liegt die Rezeptionsgeschichte mit ihrem Platzverweis für Marschners Oper auf die hinteren Plätze wohl nicht.
Gräbt man sie aus, muss so ein Spezialist fürs Abgefahrene ran wie Ersan Mondtag. Der arbeitet gerade den Corona-Stau seiner jüngster Regiearbeiten ab. Rued Langgaards „Antikrist“ in Berlin, Carl Maria von Webers „Freischütz“ in Kassel – da passt der „Vampyr“ des jahrzehntelangen Hannoveraner Kapellmeisters sogar inhaltlich: jede Menge Spuk und große Töne. Mit Platz, um Reflektierendes unterzubringen, das nach der Relevanz der alten Stoffe sucht. In eindrucksvollen Räumen, mit hinzuerfundenen Figuren samt entsprechenden Texten und einer abgedrehten Kostümoptik. In Hannover bietet Mondtag von allem reichlich in der Hoffnung, dass daraus ein Gesamtkunstwerk eigenen Rechts entsteht. Exemplarisch war ihm das mit dem „Antikrist“ gelungen. In Hannover ist es mehr die große Opernshow aus dem Geist einer Musical-Ästhetik. Natürlich als bewusst eingesetztes Mittel, um Distanz zu schaffen und so das Stück zu „retten“.
Die Bühne mit der Ruine der zerstörten Synagoge Hannovers und dann mit dem als Kaufhaus verkorksten Braunschweiger Schloss macht dabei ebenso gewaltigen Eindruck wie die fantasie-explodierende Kostümopulenz von Josa Marx. In seinem Silbergewand liefert Michael Kupfer-Radecky einen vokal standfesten, blutsaugenden Lord Ruthwen. Vampire und Dämonen sind zwar als die prototypisch Ausgestoßenen gemeint, kommen aber nicht wirklich so rüber. Lord van Davenaut, der Vater eines der anvisierten Opfer, ist als ölschwarzer Scheich eher ein schrullig Kostümierter als die personifizierte Kapitalismus- oder Gierkritik. Dafür prunkt Shavleg Armasi in dieser Rolle mit aller Bass-Wucht.
Von drei hinzugefügten Figuren schafft es neben Ahasver und der syrischen Göttin bzw. Vampirmeisterin Astarte vor allem der improvisierende und röhrende Benny Claessens zu einer eigenständigen Verstörungsshow als Lord Byron im Elton-John-Outfit. Das nervt, passt hier aber. Stephan Zilias lässt sich mit dem Niedersächsischen Staatsorchester auf die entfesselte Schauerromantik ein und sekundiert damit zugleich die große Show.
Dr. Joachim Lange
„Der Vampyr“ (1828) // Große romantische Oper von Heinrich Marschner