Ein junges Paar entwickelt eine App, mit der man negative Erfahrungen löschen kann. Sara Glojnarićs neues Musiktheater „Neuro-Moon. Manage your Memories“, das im Kleinen Haus des Freiburger Theaters uraufgeführt wird, beschäftigt sich mit der Last der Erinnerung und dem Versuch, sich davon zu befreien. „Vergessen ist ein Menschenrecht“, deklamiert die selbstbewusste PR-Managerin Fenja (Mona Georgia Müller). Die Selbstoptimierungs-App wird zum Hype, ehe sich der Gesetzgeber meldet, dass auch die negativen Erinnerungen als Kulturgut gespeichert werden müssten. Nach einem Datencrash fliegt am Ende das ganze Entwicklerteam zum Mond, wo die neuen Server stehen – und lächelt in die Kamera.

Der Abend (musikalische Leitung: Friederike Scheunchen) beginnt mit einem ganz analogen Speichermedium. Die weiße, spacige Kostüme tragenden Musiker des ensemble recherche stanzen Lochstreifen aus, die sie in Spieluhren zum Klingen bringen. Nostalgische Klänge, die, digital bearbeitet, im Laufe des Abends immer wieder als Leitmotiv auftauchen. Wie überhaupt die Musik von Sara Glojnarić mit ihrer tonalen Grundlage, ihrer Transparenz und dem raffinierten, durchaus popartigen Synthie-Sound (Keyboard: Klaus Steffes-Holländer) überaus zugänglich ist. Vor allem schreibt die Komponistin, die gerade mit dem Förderpreis der diesen Kompositionsauftrag finanzierenden Ernst von Siemens Musikstiftung ausgezeichnet wurde, ganz traditionell für die Stimme.

Besonders große Kantabilität entfaltet Janina Staub als Programmiererin Selina in den vielen ruhigen, hoch liegenden Passagen. Mit betörendem Sopran erzählt diese Selina in der zweiten Szene von ihrer ersten, unglücklichen Beziehung, während ihr Freund Tilman (mit leichtem, warmem Bariton: Johannes Fritsche), der aufstrebende Neurologe, sich an den Selbstmord eines guten Freundes erinnert. Dazu sitzen die beiden auf der Couch und hören Claude Debussys „Clair de Lune“ auf dem Plattenspieler (Bühne und Kostüme: Sarah Mittenbühler). Bei manchen pathetischen Gesangsnummern wundert man sich über die zugrundeliegende, nüchterne Sprache der Librettistin Emma Braslavsky – wie im Duett „Neuro-Moon ist aufgegangen“, wenn Zeilen wie „Überlass Fenja die Geschäftsleitung“ mit großen melodischen Bögen versehen werden. Die gesprochenen Passagen sind stimmiger.

Mit dem Auftritt von Aslan (präsent: Yunus Schahinger) und Sumi (kristallin: Ani Yorentz), den beiden aalglatten, im Sessel fläzenden Firmenchefs, ändert sich die Musik. Christian Dierstein liefert harte Schläge am exponierten Drumset – schroffe Einwürfe statt wohlige Harmonien in den Streichern (Melise Mellinger/Violine, Åsa Åkerberg/Violoncello) und der Klarinette (Shizuyo Oka). Zur Vorbereitung der Mondfahrt kommt das ensemble recherche in der Bühnenmitte als Chor zusammen, während bereits goldene Tassen durch die Luft schweben (Video: Robert Läßig). Am Ende werden Papierhelme aufgesetzt. Und man bewegt sich zumindest musikalisch mit kreisenden Harmonien in die Schwerelosigkeit.

Georg Rudiger

„Neuro-Moon. Manage your Memories“ (2023) // Kammeroper von Sara Glojnarić