Mit einem Paukenschlag eröffnet das Immling Festival die Saison. Intendant und Gründer Ludwig Baumann setzt Richard Strauss’ „Salome“ aufs Programm – eine zweifache Premiere. Denn das Musikdrama gab es noch nie in Immling zu sehen. Von einer solchen Dimension habe er bisher nur geträumt, erklärt Baumann zur Begrüßung vor ausverkauftem Haus.

Mit seiner Inszenierung lenkt er den Blick zurück in die Entstehungszeit der Oper. Aber er lässt sich nicht von der Begeisterung für Exotik, dem Jugendstil oder der Dekadenz des Fin de Siècle leiten, sondern greift Sigmund Freud und seine Erkenntnisse zum Unterbewusstsein auf. Fasziniert von den „extremen“ Charakteren, betrachtet er das Musikdrama, wie er im Programmheft betont, aus „psychoanalytischer Perspektive“. Zur Frage, ob plötzliche Laune oder existenzieller Zwang Salomes Verhalten und ihren Wunsch nach Jochanaans Kopf bestimmt, bezieht er mit seiner Regiearbeit eindeutig Stellung.

Die gesamte Bühne zeigt Baumann als Gefängnis. Düsternis bestimmt sie. Wie die an die Expressivität der Stummfilme erinnernden Projektionen (Linua Land und Mariella Weiss) ist bis zu den Kostümen (Camilla Wittig) alles in Schwarz-Weiß gehalten. Überall befinden sich Kameras. Nicht nur Jochanaan ist ein Gefangener – alle Figuren des Dramas sind es. Herodias ist verstrickt in ihre Schuld an doppeltem Ehebruch. Herodes wird getrieben von seiner Begierde, seinem Machthunger und seinen Schuldgefühlen. Die Prophezeiung Jochanaans, nach ihm werde einer kommen, der stärker sei als er, beängstigt ihn zutiefst. Er fühlt das Unheil kommen und sieht in allen Erscheinungen drohende Zeichen. Salome wird heimgesucht von ihrem Kindheitstrauma. Ähnlich wie Cyril Teste an der Wiener Staatsoper begreift Baumann Salome als ein in seiner Kindheit missbrauchtes heranwachsendes Mädchen. Diese Deutung zieht er stringent durch. Bereits zu Beginn zeigt er an der Bühnenrückwand Projektionen eines Kindes. Noch deutlicher wird es, wenn sich während des Tanzes der sieben Schleier ein schwarzer Schatten über das Kind schiebt. Baumann legt die Hintergründe offen und entlarvt die rauschhafte Einheit von Eros und Tod, brünstigem Begehren und Grausamkeit, die das Werk vor Augen führt. Entsprechend drastisch gestaltet er die Szene, wenn Salome den abgeschlagenen, blutenden Kopf Jochanaans küsst.

Getragen wird die Inszenierung von einem großartigen Sänger-Ensemble, allen voran Lidia Fridman, die eine phänomenale Salome von elektrisierender Präsenz auf die Bühne stellt. Ihr Sopran besitzt eine beeindruckende Flexibilität und Durchdringungskraft. Auch die übrigen Sänger wie Hans-Georg Priese (Herodes), Kassandra Dimopoulou (Herodias) und Rhys Jenkins (Jochanaan) überzeugen stimmlich und darstellerisch. Mit Verve leitet Cornelia von Kerssenbrock das Festivalorchester Immling, das sie um das Staatliche Kammerorchester Tiflis zu einem harmonischen Klangkörper geformt hat, und spornt es mit inspirierender Kraft zu Höchstleistungen an. Am Ende ist das Publikum spürbar überwältigt und feiert die Künstler mit langanhaltendem Applaus.

Dr. Ruth Renée Reif

„Salome“ (1905) // Musikdrama von Richard Strauss

Infos und Termine auf der Website des Immling Festivals