Kiel / Theater Kiel (Dezember 2021) Moderner Sprechtext und frische Ideen für Mozarts „Zauberflöte“
Eine renovierte „Zauberflöte“ – kann das gut gehen? Im Auftrag des Theaters Kiel hat Gegenwartsdramatiker Roland Schimmelpfennig zu Mozarts Musik und dem Libretto von Emanuel Schikaneder moderne Sprechtexte geschrieben. Generalintendant Daniel Karasek inszeniert die Fassung spartenübergreifend mit Sängerinnen und Sängern, Schauspielerinnen und Schauspielern. GMD Benjamin Reiners leitet sie musikalisch mit hörbarer Lust auf den alten Mozart und die neue Produktion.
Ein doppelter Tamino. Pamina, Sarastro, die Königin der Nacht, Papageno und Papagena – sie alle mal zwei. Opern- agiert mit Schauspielpersonal, als sei es das Leichteste der Welt und seit Ewigkeiten erprobt. „Zu Hilfe!“, fleht Tamino. Ist er der bedrängte tapfere Prinz oder ein hasenfüßiger Junge aus der Vorstadt, der auf einen falschen Weg geraten ist? Er zweifelt selbst und andere mit ihm. Papageno zum Beispiel, der in Kiel seiner ihm allzu oft mit buntem Unernst auferlegten Eindimensionalität entfliehen und mit seiner erbarmungswürdigen Einsamkeit eine andere Seite zeigen darf. Der Schauspiel- bzw. Musiktheater-„Zwilling“ macht das facettenreiche Wesen sicht- und hörbar: Wo die Sprache endet, hilft die Musik. Wo der durchweg überzeugende Gesang mit seinen Texten im 18. Jahrhundert verhaftet ist, hilft die Schauspielkunst. Die Kieler „Zauberflöte“ kommt daher, als hätte ihr einer den Staub der Jahrhunderte aus dem Menschlichen und Zwischenmenschlichen gepustet, das aber bei allem Respekt vor Mozart und Schikaneder.
Gemeinsam mit den modernen Sprechtexten erzeugen Komposition und Libretto Spannungsfelder, in denen sich die Brüche der Helden und Heldinnen auf der Suche nach Erkenntnis und Identität auftun. Der junge Tamino, der Teenie Pamina, sie suchen ihren Weg durch die rätselhafte Welt der eigeninteressierten Alten. Das Spiel beginnt in schönster Normalität: Pamina erlebt einen Familienzwist und fällt in einen Traum, der diesen Konflikt verarbeitet. Das kennt jeder, das versteht jeder und wunderbarerweise fügt es sich mit Mozart und Schikaneder zu einem neuen Ganzen.
Die Kunst dieser „Zauberflöte“ zeigt sich im Miteinander von anspruchsvoller Deutung und hohem Unterhaltungswert. Das Publikum hat viel zu lachen. Auch das liegt an den Zwillings-Besetzungen, die ihre jeweiligen inneren Schweinehunde Auge in Auge bekämpfen.
Komische Tragik, tragische Komödie? Es ist ein Blick ins Leben, und folgerichtig spielt der in einer unprätentiösen Ausstattung. Doch Bühne und Kostüme (Claudia Spielmann) wie auch Lichtgestaltung (George Tellos) kommen so pointiert zum Einsatz, dass sie mit Farben (Schwarz, Weiß, Grau, Rot), zwei Leitern und einer bespielten Hochbrücke ausreichend Raum für Bewegungsspektakel und somit für reichlich visuelle Abwechslung bieten.
Wenn das Premierenpublikum, kaum dass der letzte Ton verklungen ist, nahezu geschlossen aufspringt und stehend applaudiert, dann muss auf der Bühne Bemerkenswertes geschehen sein. Bei dieser „Zauberflöte“ ist das so.
Karin Lubowski
„Die Zauberflöte“ (1791) // Oper von Wolfgang Amadeus Mozart (Musik) und Emanuel Schikaneder (Libretto) in einer neuen Dialogfassung von Roland Schimmelpfennig (2021)