Es ist kompliziert. Damit ist nicht etwa ein Beziehungsstatus gemeint, sondern die aktuelle Situation der Oper Wuppertal. Dort hat man nicht nur mit der aktuellen Corona-Lage zu kämpfen, sondern auch mit den Nachwirkungen eines schweren Unwetters, das im Juli dieses Jahres allein im Opernhaus Schäden von rund 10 Millionen Euro verursacht hat. Deren Behebung dauert immer noch an, sodass viele Produktionen in Ausweichquartiere verlegt werden mussten. Erst am 9. Dezember kehrt man mit der Wiederaufnahme von Mozarts „Zauberflöte“ ins Opernhaus zurück. Die deutsche Erstaufführung von Salvatore Sciarrinos Oper „Il canto s’attrista, perché?“ etwa hatte es in das Erholungshaus Leverkusen verschlagen.

Bühnentechnisch hätte es schlimmer kommen können, denn – obwohl von 1908 und als Mehrzweckhalle konzipiert – erweist sich der Bau mit Orchestergraben und Drehbühne als durchaus theatertauglich. Aber nicht nur das macht den Besuch erquicklich. Die Wuppertaler Oper hatte sich bereits in der Vergangenheit als außergewöhnlich experimentierfreudig erwiesen. Eine Logistik-Oper etwa hat man dort schon produziert, Luigi Nonos Opernerstling „Intolleranza 1960“ inmitten der Pandemie auf die Bühne gebracht und nun also die deutsche Erstaufführung von Sciarrinos Mythologie-Oper.

Die erzählt ein antikes Drama: Nach zehn Jahren Krieg gegen Troja kehrt der siegreiche König Agamemnon mit der Wahrsagerin Kassandra als Sklavin und Mätresse nach Mykene zurück. Doch seine Gattin Klytämnestra kann ihm weder den jetzigen Ehebruch noch die frühere Opferung ihrer Tochter Iphigenie verzeihen und setzt einen schrecklichen Racheplan in Gang.

Sciarrino, über dessen Musik sich der spartanische Programmflyer leider völlig ausschweigt, erzählt die Geschichte in ebenso sparsamen wie konzentrierten Klanggesten. Nur selten verdichtet sich der stockende Musikstrom zu ekstatischeren Passagen. Musikalisch wird das in Wuppertal unter der Leitung von Johannes Witt vom hauseigenen Sinfonieorchester und dem vom Rang singenden Chor außerordentlich packend in Szene gesetzt. Auch die Solistenriege ist ausgezeichnet besetzt: Nina Koufochristou als Klytämnestra und Iris Marie Sojer als Kassandra, Simon Stricker als Agamemnon, Tobias Hechler als Wächter und Timothy Edlin als Herold geben ihren Rollen sowohl stimmlich als auch szenisch eine ungemein eindringliche Kontur.

Die konzentrierte Inszenierung von Nigel Lowery überzeichnet Gesten und Figuren bei gleichzeitiger Beschränkung auf das Wesentliche, wobei der Regisseur auch für Kostüme und Bühne verantwortlich zeichnet. Das kommt der Geschlossenheit des ausgezeichneten Gesamteindrucks ebenso entgegen wie die vielschichten Videoprojektionen von Thilo David Heins.

Guido Krawinkel

„Il canto s’attrista, perché?“ (2021) // Szenen nach Aischylos von Salvatore Sciarrino