Basel / Theater Basel (Dezember 2024) Christoph Marthaler verzaubert mit seinem Musiktheater „Tiefer Graben 8“
Die Musik ist von Ludwig van Beethoven. Es handelt sich um eine Auswahl eher seltener Fundstücke, die der Komponist und Dirigent Johannes Harneit bearbeitet hat. Sylvain Cambreling lässt mit dem Sinfonieorchester Basel, dem von Michael Clark präparierten Chor und den Protagonisten lauter musikalische Schmuckstücke daraus werden. Die Text-Melange aus Alltagsbanalität, Lebenswitz oder Glückskeksweisheit stammt von Heimito von Doderer (1896-1966).
Für das Musiktheater, das dabei herauskommt, zeichnen der Schweizer Theatersonderling Christoph Marthaler und die kongeniale Raumerfinderin Anna Viebrock verantwortlich, die vor allem dann überzeugen, wenn sie Arm in Arm ins Rennen gehen wie im Falle von „Tiefer Graben 8“. Der Titel verweist auf eine der Wiener Adressen des notorischen Wohnungswechslers Beethoven.
In typischer Marthaler-Manier finden Typen zusammen, treffen aufeinander, reden aneinander vorbei, wiederholen sich, verstehen einander nicht. Kerstin Avemo, Nikola Weisse, Ueli Jäggi, Magne Håvard Brekke, Andrew Murphy, Raphael Clamer, Bendix Dethleffsen, Martin Hug und Lulama Taifasi können sich allesamt in diesem exemplarischen Marthaler-Theater profilieren und sind Teil einer fiktiven Hausgemeinschaft zwischen Auseinanderfliegen und Aufeinandertreffen, zwischen Zusammenhalten und Gegeneinander-Sticheln.
All das spielt sich vor dem Hintergrund einer nüchtern grauen Allerwelt-Fassade ab. Links sieht man ein Zimmer mit gleich drei Klavieren. Der Mittelteil mit einer tristen Flurtreppe kann sich aus der Rückwand Richtung Rampe lösen. Im rechten Teil des Raumtriptychons befindet sich ein Schlafzimmer, davor ein Raum mit mehreren Tischen, als wäre es eine Wiener Kneipe. Überall liegen meterlange Läufer, die man zusammen- und wieder ausrollen kann, wie man das eben so macht beim Umziehen.
Die Frage „Wohnen Sie hier?“ bekommt in diesem Ambiente einen Unterton à la: „Sie wohnen doch nicht etwa hier?“ Ein Leitmotiv im Running-Gag-Gewand: eins von Marthalers Markenzeichen. Das Programmheft listet die Beethoven-Stücke auf, meist werden ihre Titel beim Erklingen eingeblendet. Sie bleiben in diesem Kontext und in dieser Bearbeitung gleichwohl dicht an einer Neuentdeckung, selbst wenn auf „Christus am Ölberg“, „Missa Solemnis“ oder „Egmont“ verwiesen wird. Hier fügt sich alles, passt und klingt vertraut. Dank Harneits Bearbeitung hört sich manches tatsächlich wie neu an. Marthaler bietet ein Theater, das auf seine eigene Art etwas belebt und zum Klingen bringt, von dem man gar nicht genau sagen kann, was es ist. Der poetische Zauber von Theater? So falsch ist das nicht.
Dr. Joachim Lange
„Tiefer Graben 8“ (2024) // Musiktheater mit Musik von Ludwig van Beethoven