Jenseits der Tempel der klassischen Musik haben sich die Musiktheatertage Wien als kleines, aber hochengagiertes Festival etabliert. Thomas Cornelius Desi und Georg Steker sind als künstlerische Leiter Jahr um Jahr bemüht, ein möglichst abwechslungsreiches Programm auf die Beine zu stellen. Das Ziel: ausgetretene Pfade zu verlassen, möglichst viele Musikstile zu vereinen, neue Medien, Technologien und Formate zu integrieren, junge Künstlerinnen und Künstler zu fördern und Kompositionsaufträge zu vergeben.

Das Auftaktstück des diesjährigen Festivals „Heiliger Zorn/detuned“ aus der Feder von Komponist und Regisseur Thomas Cornelius Desi in der Wiener Hofburgkapelle verursacht in den Köpfen der Zuschauer allerdings eher Verwirrung als Entzückung. Das Thema rund um den historischen Konflikt zwischen dem zornigen König Henry II Plantagenet und seinem gelassenen Kanzler Thomas Becket zündet nicht. Die Idee, den Jugendchor aus Schülerinnen und Schülern des AkG Beethovenplatz in das Stück miteinzubeziehen, ist lobenswert. Allerdings rufen die Tableaus, zu denen sich die Jugendlichen mit Hilfe altmodischer Requisiten formieren müssen, nur bei anwesenden Familienangehörigen wohlwollende Begeisterung hervor.

Ganz anders präsentiert sich die Uraufführung der frisch komponierten Oper von Matthias Kranebitter, „Pandora“. Bekanntlich verheißt es nichts Gutes, die Büchse der von Hephaistos aus Lehm geschaffenen Frau zu öffnen. Hier erwächst daraus Kreatives, ein finessenreicher Mix aus Performance, exzellentem Gesang, großer Darstellungskunst, noch größerem Durchhaltevermögen der Künstlerinnen und Künstler, einem spannenden Bühnenbild und abwechslungsreicher Musik. Der 1980 geborene Wiener Komponist sammelte Erfahrungen in zahlreichen Musikstilen, mit diversen Orchestern und Klangformationen, die sich mit der sogenannten modernen Musik auseinandersetzen.

Diesmal belebt er den barocken Operntorso „Pandora“ nach verschollener Musik von Joseph-Niclas-Pancrace Royer und Worten von Voltaire wieder. Da dreht sich alles um Freiheit, Revolution, Guillotinen und Cembali. Als Zuseher braucht man schon Zeit, um sich zwischen den großen weißen Boxen, den in grau-weiße stilisierte Krinolinen verpackten Sängern zu orientieren, die Erweckung der Pandora zu identifizieren und die Folgen der Öffnung der berühmten Büchse zu verstehen. Aber alles kommt sehr witzig daher, die Musik ist gefällig, sie dekonstruiert gekonnt barockes Notenmaterial in das 21. Jahrhundert, alles passend zum sanft bröckelnden Ambiente des Odeon Theaters.

Regisseur Michael Höppner beweist Humor mit der Installation eines Roboterarms statt eines Dirigenten, Vinicius Katta darf nach wenigen Minuten allerdings das Black Page Orchestra persönlich leiten. Szenograf Christopher Sturmer greift tief in Farbtiegel und Lehmkübel, um die Sänger zu Kunstobjekten zu verpacken. Georg Bochow (Countertenor), Heike Porstein (Sopran) und Andreas Jankowitsch (Bariton) sind nicht nur für ihre ausgezeichneten sängerischen Leistungen lobend zu erwähnen, sondern auch für die große Ernsthaftigkeit, mit der sie ihre Figuren im besten Licht erscheinen lassen. Vielleicht nicht der größte Abend, den man als Zuschauer erleben kann, aber ein sehr interessanter.

Susanne Dressler

„Pandora“ (2023) // Eine Cyber-Reanimation des barocken Operntorsos von Royer und Voltaire durch Matthias Kranebitter