Innsbruck / Innsbrucker Festwochen der Alten Musik (August 2023) Ein Sängerfest mit Vivaldis „Olimpiade“
Wer krönt das Ende seiner Laufbahn nicht am liebsten mit Gold? Intendant Alessandro De Marchi ruft dafür im Tiroler Landestheater passenderweise gleich eine waschechte „Olimpiade“ aus – die von Antonio Vivaldi, um genau zu sein.
Zu seinem Innsbrucker Abschied gönnt er sich und dem Publikum eine Starbesetzung, wie sie im Buche steht. Allen voran zwei Countertenöre und ein Sopranist singen um die Wette, als ob sie das Wort „Referenzcharakter“ am Premierenabend für sich gepachtet hätten. Man wähnt sich im barocken Opernhimmel: wenn Bejun Mehta das Innerste seiner Partie Licida in schwebende Töne gießt und die Zeit wie hypnotisch einfriert; wenn Raffaele Pe den emotional extrovertierten Megacle mit solcher Kunstfertigkeit zeichnet, dass selbst die Rezitative zu einem Ereignis werden; und wenn Bruno de Sá perlende Koloraturen in atemberaubender Höhe wie am Fließband produziert, dazu leichtfüßig wie Michael Jackson über die Bühne tanzt, alle Schmunzler und Lacher auf seiner Seite hat, der Saal tobt – und man bedauert, dass die extrem virtuosen Kadenzen trotzdem kein Da capo nach sich ziehen.
Die dunkleren Frauenstimmen haben es da nicht leicht mitzuhalten. Während der Mezzosopran von Benedetta Mazzucato (Argene) mit ehrlicher Wehmut durchaus einzunehmen weiß, zeigt Contraltistin Margherita Maria Sala zwei Gesichter: Insbesondere in den Rezitativen fesselt sie zwar mit plastischem Furor und Temperament, aber in ihren Arien fährt sie immer wieder auch mit angezogener Handbremse. Bei so vielen hohen Partien „geerdet“ wird die Oper von Bariton Christian Senn, der einen ungewöhnlich humanen König darstellt, und dem Bass von Luigi De Donato.
Klar, der ein oder andere Strich und/oder mehr Kontraste wären nicht verkehrt an diesem Abend. Das ist aber Meckern auf hohem Niveau angesichts De Marchis sehr organischem Dirigat, das den Solisten den Boden bereitet, das Innsbrucker Festwochenorchester für rasende Affektstürme vor sich hertreibt und dann wieder für liebliche Augenblicke des Innehaltens zügelt.
Der Sport ist letzten Endes nur Kulisse für einen barocken Arienreigen, der überraschend tiefenpsychologisch und kompositorisch geradlinig daherkommt. Die Verwechslungsgeschichte handelt von Königssohn Licida, der sich Hals über Kopf in Prinzessin Aristea verguckt, die just als „Siegertrophäe“ für den Gewinner der Olympischen Spiele ausgerufen wird. Der unsportliche Licida lässt seinen engen Freund Megacle unter falschem Namen für ihn antreten. Dumm nur, dass der und Aristea heimlich selbst längst ein Paar sind – und Licida eigentlich auch schon einer anderen versprochen ist …
Die Inszenierung von Stefano Vizioli leitet sich aus der Musik ab, arbeitet mit viel Situationskomik und gerät auch dann kurzweilig, wenn mal nicht so viel los ist auf der Bühne, die mit drahtig-muskulösen Statisten an Barren, Boxsack und Co. auf den Kampf um die Goldmedaille einstimmt. Verortet ist die Produktion zwar im Umfeld von Olympia 1936. Das dient aber als reiner Ankerpunkt für die Ausstattung (Bühnenbild: Emanuele Sinisi / Kostüme: Anna Maria Heinreich) – mögliche Bezüge zur Vivaldi-Renaissance, die im italienischen Faschismus u.a. mit der „Olimpiade“ Fahrt aufnahm, bleiben außen vor. Geschickter arrangiert Vizioli das zentrale Ideal der bedingungslosen „Männerfreundschaft“ von Licida und Megacle: Zwischen den originalen Libretto-Zeilen liegt da etwas damals noch Unaussprechliches, die stumme Trauer in Licidas Blick spricht für sich. Das wahre Traumpaar dieser Oper – es soll nicht sein.
Florian Maier
„L’olimpiade“ (1734) // Oper von Antonio Vivaldi in der kritischen Edition von Alessandro Borin und Antonia Moccia