Salzburg / Salzburger Festspiele (Juli 2023) Mozarts „Le nozze di Figaro“ geht runter wie Öl – mit bitterem Beigeschmack
Dass das Festspielpublikum nicht so gut auf Regisseur Martin Kušej zu sprechen ist, war schon vor der Premiere klar. Trotzdem geht es hin, denn Gesprächsstoff liefert er allemal. Und Kušej tischt auf: Es wird ungemütlich im Haus für Mozart.
An diesem Abend werden die Mächtigen und Reichen verhöhnt, die Schwachen, die Zweifelnden – und die Frauen – liebkost. Mozart lässt uns glauben, dass alles nur ein Märchen ist – ein Märchen, das gut ausgeht und in dem Eros die treibende gute Kraft ist. Dass Eros auch zerstören kann, möchte die Musik uns ersparen. Und auch wenn man es dem bezaubernd samtigen Bariton von Andrè Schuen als Graf Almaviva gerne abnehmen würde, wenn er seine Gattin (Adriana González’ inniglicher Sopran zerreißt vor Schmerz das Herz) um Verzeihung anfleht: Kušej zieht einen Strich durch diese Rechnung. Denn der ganze letzte Akt, in dem sich alle lieb haben, alle vertragen, spielt in einer Utopie. In hügeliger Landschaft, in hohem Gras, fern der Zivilisation. Dort waltet die Liebe, so klingt es in Da Pontes genialem Libretto immer wieder an.
Ganz anders sieht es im Anwesen von Graf und Gräfin Almaviva aus. Die Regie verlagert den Handlungsort von Spanien nach … Stuttgart? Düsseldorf? München? London? Ganz egal – es sind Orte, die dem Publikum bekannt sein dürften. Kušej nimmt ihnen jeglichen Charme: eine Bar ohne Seele, zu große Räume, die zu leer, zu karg sind. Figaros Hochzeit (Krzysztof Bączyk mit vollem Bass) findet im siebten Untergeschoss eines Parkhauses statt. Hier können Liebe und Anstand nur verkümmern.
Der Verfall der Gesellschaft am Hof Almaviva wird besonders durch den skrupellosen Priester (im Libretto Musiklehrer) Basilio verdeutlicht, der provokant und an mancher Stelle etwas billig überspitzt als Oberschurke inszeniert und von Manuel Günther mit kräftigem Tenor versehen wird. Dem entgegengesetzt ist die Freundschaft zwischen der Gräfin und ihrer Zofe Susanna (Sopranistin Sabine Devieilhe singt wie ein Engel). Eine Freundschaft zweier Frauen, so zärtlich und voller Fürsorge, dass aus ihr eine Kraft entspringt, die das Schurkentum der Männer – wenigstens zeitweise – überstrahlt. Diese Kraft rührt aus dem, der der Welt enthoben ist: Cherubino (Lea Desandre mit glasklarem Mezzosopran), im ewigen Fluss der Jugend, verwirrt und verliebt, unschuldig wie ein junges Reh, doch in seiner Leidenschaft nicht zu zähmen. Eine hinreißende Figur – der Eros, den der Graf unermüdlich sucht und aus Verzweiflung verbannen, gar umbringen will. Er kann ihn nicht fassen. Denn Eros lässt sich nicht fassen, er erscheint im stetigen Wandel.
Sein Wesen kann nur in der Musik begriffen werden, in Mozarts Musik. Für deren klangliche Umsetzung sind die Wiener Philharmoniker, sehr präsent und ungewohnt spritzig, unter dem jungen Stardirigenten Raphaël Pichon maßgeblich verantwortlich. Diese Musik, so leicht und spielerisch, trägt durch einen düsteren Abend, sie leuchtet heller als alles Gold und Geld der Welt. Doch Kušejs zynische Handschrift hallt nach: Cherubino als Utopie.
Pia von Wersebe
„Le nozze di Figaro“ („Die Hochzeit des Figaro“) (1786) // Commedia per musica von Wolfgang Amadeus Mozart