Frankfurt am Main / Oper Frankfurt (Januar 2022) Kluges Regiekonzept „Warten auf heute“ vereint vier Schlüsselwerke
Ein Haus als Barometer für den Zustand des Seelenfriedens. Fenstergitter, die die Idylle sowohl beschützen als auch zum Kerker machen. Schatten, die mehr als die Menschen im Haus daheim sind. Mehr bedarf es in diesem mit „Warten auf heute“ überschriebenen Abend an der Oper Frankfurt kaum, um vier Werke der Moderne zu einer großen Erzählung zusammenzufügen. Das Resultat überzeugt derart, dass man sich fragen muss, wieso diese Werke nicht immer auf genau diese Weise miteinander aufgeführt werden.
Regisseur David Hermann verbindet Arnold Schönbergs Einakter „Von heute auf morgen“ und Frank Martins „Jedermann“-Monologe mit der „Erwartung“ (ebenfalls Schönberg) zu einer Geschichte, bei der die Beziehung zweier Menschen ebenso im Mittelpunkt steht wie die Frage, was uns der Schutz dieses Glücks wert ist. Der narrative Coup: Schönbergs „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene“. Im Sinne einer Verwandlungsmusik und unter Verwendung klassisch-filmischer Elemente (Projektionen, Zeitraffer) sehen wir der Kernfamilie aus dem Einakter dabei zu, wie sie sich im Laufe der Zeit entzweit: Die Frau verlässt das gemeinsame Haus, Mann und Kind (Bühnenbild und gekonnter Einsatz der Frankfurter Drehbühnen: Jo Schramm). Der (Jeder-)Mann bleibt allein zurück in einem Geisterhaus, in dem sich die Styropor-Essensboxen zu einem Mahnmal moderner Einsamkeit getürmt haben. Nach seinem Tod kehrt die Frau zurück („Erwartung“) und zerbricht letztlich an ihrem Leben. Ein düsteres Gesamtbild, das in seiner Geschlossenheit überzeugt, wenn es auch jeglichen Hoffnungsschimmer vermissen lässt.
So gut sich die vier Geschichten ineinanderfügen, fragt man dennoch nach dem Wieso des Abends. Ein Plädoyer für die Konstanz der Familie? Wohl kaum. Vielmehr scheint es um die Frage zu gehen, welchen Preis wir bereit sind zu zahlen, um diesen Moment individuellen Glücks zu finden und zu schützen. Statt im Heute zu leben, flüchten sich alle Figuren in die Imagination. Die Gegenwart als labyrinthisches Wartezimmer unserer Existenz.
Unangefochtenes Highlight des Abends ist Johannes Martin Kränzle, dessen Gesamtleistung sich auf einem derart hohen Niveau bewegt, dass man sich fragen muss, ob das überhaupt noch zu steigern ist. Stimmlich gewohnt tadellos berührt er als Jedermann vor allem auch durch seine schauspielerische Leistung. Einen ergreifenderen, „kaputteren“ Jedermann hat man selbst in Salzburg kaum gesehen. Camilla Nylund meistert die „Erwartung“ auf souveräne, wenn auch fast steril-perfekte Weise. Im Einakter und in der Begleitmusik steht das Regiekonzept im Mittelpunkt. Gelungene Überraschung: Juanita Lascarro und Brian Michael Moore, die mit sichtbarer Spielfreude als Zombies die modernde Moderne entlarven. Am Ende ist alles nur heiße Luft.
Alexander Soddy führt das Frankfurter Opern- und Museumsorchester souverän, mit viel Verständnis und Kenntnis für die Stilistik dieser Musik. Trotz aller Düsternis: ein großer Opernabend, der uns die volle Tragik der menschlichen Existenz vor Augen führt.
Dr. Dimitra Will
„Warten auf heute“ // Ein Abend mit Kompositionen von Arnold Schönberg und Frank Martin