Auch für neue Opern haben biblische Stoffe Potenzial – jüngst etwa für Christoph Ehrenfellner die Geschichte von Kain und Abel in Nordhausen, jetzt für Torsten Rasch an der Semperoper auf ein Libretto von Helmut Krausser. Der lieferte (mit den heute unvermeidlichen pandemiebedingten Verzögerungen und Restriktionen) große Oper. Vor allem in den von der Sächsischen Staatskapelle unter Leitung von Michael Wendeberg exquisit in den Raum gefluteten Orchestertutti. Mit seinem spätromantischen Nachklang meidet Raschs Musik das Abdriften in Esoterische.

Der Plot kommt von weither aus der Vergangenheit und ist vor allem ein Kammerspiel, das die menschlichen Verwicklungen der ersten Leihmutterschaft verhandelt. Abram (durchschlagend: Markus Marquardt) will zu dem Stammvater werden, zu dem ihn sein Gott vorgesehen hat. Den fehlenden Nachwuchs zeugt er auf Anraten seiner längst greisen Gattin Sarai (darstellerisch und vokal in Hochform: Magdalena Anna Hofmann) mit der jungen Sklavin Hagar, die Stephanie Atanasov als Figur von der Unterwerfung zur selbstbewussten Rebellion emanzipiert.

Abram „opfert“ sich in göttlichem Auftrag als Erzeuger. Was dann folgt ist menschlich, allzu menschlich. Sarai bereut ihren Rat zum Pragmatismus so schnell, wie Hagar ihre Stellung als Mutter des Erstgeborenen verinnerlicht. Als dann das Wunder passiert und auch die über 90-Jährige Isaak zur Welt bringt, schicken Abram und Sarai Hagar und ihren Sohn Ismael in die Wüste, um sie zu „entsorgen“. Wie wir wissen, gelingt ihnen das nicht. Stattdessen beginnt eine lange Entwicklung, die Hass und Verachtung im Erbgut hat.

Gesungen wird das durchweg exzellent. Das Pathos ist immer wortverständlich. Als Augenzeugin steuern Sussan Deyhim Klagegesänge über die Zerstörung der Stadt Ur und die drei Engel (Philipp Mathmann, Philipp Meraner, Ilya Silchuk) göttliche Einreden bei.

Die Zuschauer sind auf der Bühne platziert, das Orchester im Graben. Gespielt wird bei Regisseur Immo Karaman auf einem Laufsteg aus unzähligen ausrangierten Schuhen (!). Der Strom der Zeit von Urzeiten an wird hier zu einem Strom von Menschen, die immer nur (auch im Wortsinn) beladen und auf der Flucht sind. Mit dieser in ihrer assoziativen Überstrapaziertheit mehr als heiklen Metaphorik kontrastieren die – nur für sich genommen opulent wogenden – dekorativen Videoüberblendungen der Ränge des Zuschauersaales.

Aufbauend oder auch nur erbaulich ist das alles nicht. Im Gegenteil. Und was an der Geschichte exemplarisch für uns heute sein könnte, muss man sich dazu denken.

Dr. Joachim Lange

„Die andere Frau“ (2022) // Musiktheater von Torsten Rasch

Infos und Termine auf der Website des Theaters